100 Tage Honeycomb

100 eine magische Zahl. Jubiläen werden gefeiert oder Fazits gezogen. In Amerika hält der/die PräsidentInn eine Rede und muss darlegen, was er oder sie bis dahin erreicht hat. Also feiern wir diesen Tag, lassen Revue passieren und ziehen ein Zwischenfazit.

Es ist nun 100 Tage her, dass wir die gemütliche große Wohnung und die Familie verlassen haben, um in einem kleinen Bus unsere und die europäischen Grenzen auszutesten. Noch ein bisschen länger ist es sogar her, das wir unsere Jobs aufgegeben haben, die Wohnung aufgelöst und Frankfurt den Rücken zu gedreht haben. 100 klingt irgendwie nach vielen Tagen und ist definitv länger als ein langer Urlaub. Ob ich geglaubt habe, dass wir das so lange machen? Irgendwie nicht, irgendwie habe ich gar nichts mehr geglaubt. Am Ende habe ich nur noch den Plan abgearbeitet und verfolgt. Die Zweifel von Außen, von der Pandemie, der Situation, der Ungewissheit, der Unsicherheit und den Zweifeln der Bekannten, haben einen selbst sehr zweifeln lassen. Also Zweifel nicht zulassen, Plan einhalten und loslassen. Es gab auch kurz eine Phase, da schien Corona ganz willkommen zu sein. Willkommen als gute verständliche und einfache Ausrede Honeycomb gar nicht erst zu starten. Sicherlich hatte Sarah am Ende den Mut für uns beide. Aber reicht das für 100 Tage?

Reicht der Mut für 100 Tage?

Es hat gereicht und ganz sicher, weil Lilou so gut mitmacht und der Bus ihr Zuhause geworden ist. Sie fühlt sich sehr wohl und auch der Wechsel der Optik der Umgebung macht ihr keine Angst. Und so macht er auch mir keine Angst mehr und Sarah musste nicht mehr alleine Mut haben. Ich habe auch Mut bekommen. Die Angst vor illegalen Schlafen, vor illegalen Fahren wegen Corona, vor Raub, Einbruch, Diebstahl und die Angst vor dem Fremden sind verflogen. Bis Neapel habe ich gebraucht, dann habe ich gemerkt, dass ich locker bin. Angekommen. Wir schlafen mit offenen Bus, haben in Albanien nicht mal abgesperrt als wir gegangen sind und auch wenn man die kyrillischen Schilder nicht lesen kann, die Supermärkte und darin enthaltenen Produkte nicht kennt, wir fühlen uns wohl.

Verschiedenste Supermärkte von groß bis klein

Aktuell sind wir in Griechenland, genauer gesagt bei 38.350274 22.630483 an Mokas Beach. Nach Südtirol zurück wären es 1.826 km und mehr als 1 Tag Fahrtzeit. Insgesamt sind wir bisher 6.426 km gefahren und haben Italien, Albanien, Nordmazedonien, Bulgarien und nun Griechenland erleben dürfen.

100 Tage sind verflogen. Die Abenteuer reihen sich aneinander – wer es nicht glaubt, kann hier gerne zurückblättern und nachlesen. Menschen, Landschaft, Geschichten, Kultur und die Coronastimmung erleben wir in einer nicht vorstellbaren Vielfalt. Nach vier Tagen wäre ich noch umgekehrt, jetzt fällt es uns immer schwerer darüber nachzudenken aufzuhören. Die Urlaubsstimmung ist verflogen, ein Alltag hat sich eingeschlichen und auch eine damit verbundene Ruhe. Es ist nicht immer leicht und doch wollen wir es nicht aufgeben. Manchmal wünschte man sich eine Oma, einen Onkel oder Tante, der oder die mal auf Lilou aufpasst und wir ein wenig Zeit für uns oder alleine haben können. Manchmal ist es schwer alles zu erledigen, wenn alles unbekannt und die Stimmung angespannt ist. Manchmal ist es eng im Bus, wenn man abends zu dritt auf der 1,2m Matratze liegt oder versucht neben der schlafenden Lilou noch Karten zu spielen, Serie zu schauen oder eben diesen Blog zu schreiben. Eng ist es auch im Regen, wenn die Jacken rausgeholt werden und Platz verbrauchen. Doch die Möglichkeit im Bus und außerhalb kochen und Essen zu können, rettet uns bisher vor allen Wetterverhältnissen. Purer Luxus. Manchmal wünschte man sich eine warme und windfreie Dusche und hat dann kaltes Wasser mit leichter Brise.

Beim Planen dieses Lebensabschnitts hatte ich oft Angst, wie es so wird mit der Hygiene. Und unsere Vorstellung im Notfall auf ein Campingplatz zu fahren oder ins Schwimmbad zu gehen, ist durch Corona sehr schnell zerstört worden. Wir mussten von Beginn an das nutzen, was unser Bus bietet und der hat zum Glück ein großes Angebot. Die Dusche ist nicht immer warm, aber sie macht sauber und waschen können wir mittlerweile auch ganz gut mit der Hand. Nicht jeder Fleck verschwindet, aber wir haben nichts dabei, wo das schlimm ist. Wir sind nicht krank geworden, ein guter Indikator für die Hygiene. Ich dachte, ich verlottere ein wenig oder pflege mich nicht mehr. Aber es ist tatsächlich das Gegenteil der Fall, wir achten viel mehr auf unsere Körper. Meine Füsse waren vom Büroalltag ganz kaputt. Viel zu viele Stunden in den Schuhen und jetzt machen wir Pediküre. Ich habe das Gefühl meinem Körper tut das richtig gut. Der Verzicht auf Chlorwasser und die Toilette im Wald. Wir sind ja unter uns, also kann ich sagen dass ich seit Jahren Probleme mit der Verdauung hatte. Ich dachte dass wird schlimmer. Aber im Gegenteil, es geht alles so gut wie seit ewig nicht mehr. Eine der meist überraschenden Erkenntnisse.

Der Bezug zum eigenen Körper wächst, aber auch zur Natur. Man muss nicht naturverbunden sein, oder die Wildnis aufsuchen, bei einer solchen Reise und in dieser Form wird man mit ihr konfrontiert. Man kann ihr nicht ausweichen und man stellt sich zwangsläufig auf die Natur ein. Stubenfliegen, Mücken, Ameisen, Hunde und Vogel sind ständige Begleiter. Mit dem Schlagwort “Leave no trace” – zu deutsch Hinterlasse keine Spuren – wird oft zu einem sauberen Wildcamping aufgerufen. Ich finde das tatsächlich ein wenig unpassend. Keine Spuren zu hinterlassen ist unmöglich und damit der Vorsatz bereits vor Beginn zum Scheitern verurteilt. Wir müssen Spuren produzieren, wenn wir sind und wenn wir tun. Alleine die Autoreifenabdrücke im Gras verraten unsere Anwesenheit und zerstören kleinste Biotope. Viel wichtiger ist es, nur solche und in der Menge Spuren zu hinterlassen, mit der die Natur umgehen kann und sich regeneriert. Das Gras wird sich wieder aufstellen und die Tiere und Lebewesen regenerieren. Selbstverständlich nehmen wir unseren Müll immer mit, aber die Ökoabfälle lassen wir da. Hier sind sie besser dran, als in einer Verbrennungsanlage. Auch lassen wir unser Abwasser hier und dort. Doch benutzen wir nur ökologische Seifen und Reiniger, welche garantiert biologisch abbaubar sind. Aber erst durch die Reise merken wie, wie viel Wasser wir in welcher Form verunreinigen. Alleine das Duschen und Waschen und es ist spannend das graue Wasser danach zu sehen. In einer Waschmaschine verschwindet es und man muss sich nicht darum kümmern. Das wäre ein spannendes Projekt. Einfach mal alle Abwässer in durchsichtigen Röhren im Haus visualisieren und greifbarer zu machen. Die Ressource Wasser wird uns hier sehr klar und wertvoll, nicht nur weil wir sie mit Muskelkraft in die Kanister schöpfen müssen. Auch weil die Menge so eindrucksvoll limitierend unseren Alltag und die Reise beeinflusst.

Ähnlich interessant ist die Erkenntnis zum veränderten Bezug zum Wochenende. Ich mochte meinen Job und Sarah ihren, aber man fieberte dann doch auf das Wochenende hin. Am Anfang der Woche plant man bereits, was man die zwei Tage alles erleben, erledigen und wen man treffen kann. Das hat sich nun witzigerweise komplett gedreht. Wochenenden sind die Zeiten, die am wenigsten fein und am meisten stressig sind. Viele Geschäfte sind zu und die Menschen sind verständlicherweise unterwegs. Natürlich an den schönen Orten, an denen wir auch sind und so ist es von Freitag bis Sonntag voller, ungemütlicher und lauter. Man freut sich wieder auf Montag.

In 100 Tagen hatten wir jetzt schon alle Wetter. Schnee, Kälte, Regen, Gewitter, Sonne, Hitze, Matsch, Staub, Wind, Sturm und man merkt wir und das Auto sind ein Chamäleon. Alles ist anpassbar, klar gibt es Bedingungen, die sind feiner als andere, aber alle sind schaffbar.

Wir haben nun viele Nächte im Bus geschlafen, auch mal ganz selten in der Hängematte draussen, aber für alles ist die Grundlage ein guter Stellplatz. In der bisherigen Zeit konnten wir vier verschiedene Kategorien am Plätzen feststellen und definieren. Man könnte das sehr genau erläutern, aber niemand hier möchte eine wissenschaftliche Abhandlung lesen. Deshalb die Kurzform. Kategorie 4 sind alle zweckmäßigen Stellplätze, die ausreichen, um schnell zu kochen und eine Nacht zu schlafen. Oft am Strassenrand in einer Bucht oder einem großen Parkplatz in der Stadt. Man fühlt sich nicht ganz wohl, aber es reicht für eine kurzen notwendigen Zeitraum. Kategorie 3 entspricht den Plätzen, an denen man zwar Willkommen ist – z.B. weil man gefragt hat, aber nicht dazu einladen lange zu bleiben. Manchmal gibt es Wasser oder eine freundliche Geste, Duschen will man dennoch nicht und das Klo im Auto wird aufgestellt. So zum Beispiel bei einem Kloster oder vor einem Restaurant. Kategorie 2 sind die Orte, die wir versuchen zu finden, am liebsten sind und uns gerne aufhalten. Man fühlt sich wohl, hat Platz und Raum. Sei es am Strand im Wald oder auf Wiesen. Man kann ungestört und ohne zu stören kochen, Hängematte schaukeln und gemütlich die Umgebung genießen. Wenn man Glück hat, gibt es Wasser oder einen Mülleimer oder Toiletten. Kategorie 2 sind die Orte, an denen wir so gerne sind und auch mal länger bleiben, um aufzutanken oder vermehrt zu entdecken. Leider kann durch das Wetter oder saisonbedingt ein Ort der Kategorie 2 in die Kategorie 3 oder 4 abrutschen. Also kommt es immer darauf an, in welcher Zeit man fährt. Zu guter Letzt die Plätze der Kategorie 1. Das sind die Traumorte, Bilderbuchfeeling und Standorte, die immer gerne fotografiert und geteilt werden. Jeder wünscht sich dort zu sein und man stellt sich vor, auf so einer Reise muss man ständig und immer an so einem Ort sein. Alles stimmt, der Ort ist wunderbar, einsam oder in guter Gesellschaft, das Wetter passt, das Auto steht gerade und man denkt sich, man möchte nie wieder fort von hier. Es gibt sie und wir durften schon öfter darauf sein, als man denkt. Aber man darf sie nicht suchen, nicht erzwingen, sie müssen entstehen und kommen. Generell würde ich schätzen, dass wir 70% auf Plätzen der zweiten Kategorie stehen. 20% auf Kategorie 3 und jeweils 5% auf Kategorie 4 und 1.

100 Tage Honeycomb und das in Corona-Zeiten. Wir sind dankbar, dass wir das machen können und alles so gut funktioniert. Wenn ich mich nochmal dafür entscheiden müsste, ich würde es sofort nochmal machen. Trotz Unanehmlichkeiten und der ein oder anderen Ungewissheit. 100 Tage gingen schnell vorbei und wir freuen uns auf die nächsten 100 Tage! Ja, es gibt Schwierigkeiten und ja, man muss immer wieder mal etwas basteln, sich im Regen die Füsse vertreten, mit Händen und Füssen um Hilfe bitten, manchmal Angst haben, aber das Schwierigste der ganzen Reise, war das losfahren!

2 Kommentare zu „100 Tage Honeycomb“

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