Wenn nicht mal mehr der Notruf helfen kann

Achtung Warnhinweis! Diese Geschichte ist nichts für Leichtgesonnene. Es wird empfohlen sie sich im Sitzen zu Gemüt zu führen. Es wird keine Haftung übernommen, für Lachschäden, Alpträume, Schweißausbrüche oder Angstzustände!

Das Rila-Gebirge ist verregnet und der Regen begleitet uns bereits seit dem Matka-Canyon. Es regnet nicht dauerhaft, aber es regnet jeden Tag und wenn es nur ganz kurz ist. Das bedeutet jedesmal die Markise auf- und abbauen, was ein zusätzlicher Aufwand ist. Auch ist es schwieriger zu planen. Wir sind schon absolut spontan, entscheiden meistens erst am Morgen, nachdem wir am Abend davor Ideen gesammelt haben. Aber die Wettervorhersagen sind schlecht, sie stimmen selten und so gehen wir nach Gefühl. Oft wird der Regen begleitet von einem Gewitter und wir sehen Blitz und hören Donner. Am Anfang noch gemütlich und irgendwann nervig.

Wir versuchen unsere Routine zu ändern. Nicht mehr morgens los und die Schlafzeit von Lilou nutzen, um weiterzukommen, sondern mit ihr nochmal auszuruhen. Entweder dem Regen zu zuhören oder die Sachen trocknen zu lassen. Am Nachmittag noch ein Stückchen fahren, weite Strecken haben wir gerade nicht vor. Wir wollen Bulgarien ein wenig genauer anschauen. Einen Zeitstress haben wir nicht mehr, auch weil wir entschieden haben, nicht im August in Skandinavien sein zu müssen. Wir wollen jedes Land so genießen, wie es uns in diesem Moment gerade so vorkommt und gefällt.

So geht es vom Rila-Nationalpark Richtung Sofia, der Hauptstadt Bulgariens. Wir setzen auf bewährtes und parken ein wenig außerhalb und fahren mit den Fahrrädern in die Stadt. Es gibt an den Hauptstraßen Fahrradwege, allerdings sehen sie selten benutzt aus und fehlt meist der oberste Belag. Schlaglöcher zieren die Wege und ich befürchte bereits wir hätten das Flickzeug mitnehmen müssen. Wir fahren erst durch Industriegebietsähnliche Strukturen und suchen die schöne Innenstadt und angeblich atemberaubende Kirche. Wir finden die Kirche und auf dem Foto sieht es auch beeindruckend aus. Aber sie ist es nicht. Weder außen, noch innen. Erst recht nicht innen. Es ist sehr düster, riecht wie ein modriger Keller und man verlangt für Fotos 5 Euro, für Film 10 Euro, was hier unverschämte Preise sind. Wir machen in einen Park halt, wo wir überteuert essen und Lilou auf einem Spielplatz spielen kann. Es ist ein Straßenfest in der Nähe. Technomusik schallt herüber. Wir ziehen weiter, auf der Suche nach der Innenstadt. Doch werden wir je aufgehalten, als die Wolken sich verdichten und der Damm bricht. Das Wasser strömt wie ein Wasserfall herab, tritt über die Regenrinnen und füllt die Straßen bis zur Bordsteinkante. Wir haben kaum Zeit uns unter einem Baum zu schützen. Es ist so stark, nach wenigen Minuten dringt das Wasser durch. Wir werden nass. Die Jeanshosen sind vollständig nass und es wird kalt. So schnell wie es gekommen ist, so schnell verschwindet es wieder und wir fahren weiter. Leicht durchgefroren finden wir die Innenstadt, wollen aber gar nicht mehr hier sein. Wir besorgen, was zu besorgen ist und fahren zurück zum Auto. Vielleicht war es das Wetter und das Parken im Außenposten, aber Sofia hat uns nicht gefallen. Es ist eine Stadt, wie eine Stadt halt ist und hat die gleichen Geschäfte, wie bei uns, ist ähnlich teuer und das offiziell besondere, war nicht besonders. Meine Meinung nach, muss man es nicht gesehen haben.

Sofia’s Kirche

Wir verlassen Sofia und ziehen weiter. Zu dem Regen kommt die Kälte. Die Temperaturen in Europa steigen, Hitzewellen rollen aus. Wir bleiben verschont, noch schlimmer es geht bergab. Unter 10 Grad ist es wieder und wir packen die Pullover und dicken Decken aus. Die Stimmung leidet. Wir wollen ehrlich sein und nicht nur das Schöne aufschreiben. Es kommt ein wenig nackte Wahrheit. Die Stimmung kippt sehr. Sarah und ich zicken uns an und jede Kleinigkeit führt zu Streiterein. In ruhigen Momenten versuchen wir das Problem zu analysieren, aber wir finden es nicht und explodieren einmal täglich. Wir sind genervt und Lilou ist es von uns auch. Sie quengelt mit und fängt an komisch hoch zu kreischen. Das macht mich wahnsinnig und wütend. Geduld ist keine Tugend dieser Tage. Es wird so schlimm, wir merken, wir brauchen Hilfe. Irgendetwas muss anders werden, irgendwie muss das aufhören. So darf es nicht sein und wir dachten diese Reise sorgt nur für Einhorn- und Feenstaubpupsmomente.

Wir beschließen stehen zu bleiben. Es wirkt als fahren wir dem Wetter hinter her. Wir entscheiden es vorbei ziehen zu lassen. Einfach im Regen auszuharren und warten bis das endlich vorbei ist. Eine Woche ist genug! Ein ideales Plätzchen finden wir dafür. Neben einer Kirche mit Wasser, Toiletten und Mülleimer und ohne Menschenseele. Wir sind alleine vor einem Wald und wollen einfach wieder zu uns, zum Spaß, Wärme und Trockenheit finden. Es folgt ein Tag im Bus. Ich blase Trübsal, merke richtig meine Depression aufsteigen. Ich bin absolut lustlos, will gar nichts und will das niemand etwas von mir will. Sarah ist entspannt und Lilou ist es auch und so kitzeln sie mich raus. In einem Moment, in dem es nicht regnet, geht es auf matschige Entdeckungstour. Wir merken wir sind nicht in irgendeinem Wald. Es ist ein gigantischer Wald, alt und voller Laubbäume, die 30 Meter und mehr in den Himmel ragen. Ein gigantischer Wald und er erinnert mich ein wenig an den alten Wald in Australien namens Valley of the Giant Trees. Das ich so etwas in Europa sehe, hätte ich nicht erwartet. In Deutschland wirkt alles mit schnellwachsenden Nadelbäumen wesentlich weniger magisch. Dieses magische Gefühl wird noch stärker, als morgens Nebelschwaden hindurchziehen. Es wirkt wie ein Zauberwald. Doch er wird es wohl nicht ewig bleiben. Täglich fahren die LKWs mit abgesägten Baumstämmen herab. Man hört die Motorsägen am Morgen und es hält täglich ein Auto mit zwei Pärchen, welche Wasser auffüllen. Anfangs nur für das Wasser und dann immer mehr, um mit uns zu sprechen und mit Lilou rumzualbern. Sie versuchen mit uns zu reden, können aber nur bulgarisch. Wir reden mit Händen und Füßen und Sarah versteht mehr als ich. Sie bringen Lilou Schokolade mit und als das Internet in dieser Einsamkeit mal kurz funktioniert, zeigt der Übersetzer, dass sie Nummern austauschen wollen. Sie sind die Holzfäller und wenn wir einen Job in Deutschland haben, sollen wir sie unbedingt anrufen. Sie sind freundlich und schenken uns viel Süßigkeiten. Und während sie die Bäume fällen, versucht die Natur sich ein wenig Platz zurückzuerobern.

Gegen das Wetter können wir nichts tun. Entweder wir warten ab, oder wir fahren so viel weiter, dass es wieder schön ist. Aber wir wollen hier noch Dinge entdecken, also abwarten. Aber um unsere Probleme in den Griff zu bekommen, beschließen wir uns jeden Abend maximal drei Sachen zu sagen, die uns an dem anderen nicht gefallen, welche Situation wir doof gefunden und wie wir uns darin gefühlt haben. Für jedes schlechte, danach auch etwas Gutes. Wichtig dabei, ist das der andere nur zuhören darf und auch hinterher nichts dazu sagt. Es geht nur ums mitteilen und verurteilungsfrei kundgeben. Zuhören und verstehen. Bereits am zweiten Abend fallen uns nicht mal mehr drei Sachen ein und unser miteinander wird besser. Ob es daran liegt, wissen wir nicht, aber wir ziehen es jetzt mal durch, nehmen uns die Zeit und steigern das Verständnis für den Partner.

In der Zwischenzeit und nach 48h am Rande des magischen Waldes fahren wir weiter Richtung Plovdiv. Wir bleiben auf einem Hügel stehen, um uns das Panorma. Man sieht die Regenwolken aus allen Richtungen und der Wind zieht an uns vorbei. Abends sehen wir Feuerwerk und die Lichter der umliegenden Städte. Am nächsten Tag ist es ein wenig wärmer, die Wettervorhersage schlecht, aber wir müssen endlich duschen. Es hilft nichts. Wir fahren ein Stück runter und bauen eine ganze windfreie Duschkabine. Man darf keine Mühen scheuen, man muss einfach machen. Wir kochen Wasser auf und schütten es zum Duschwasser. Mein Anteil der Dusche ist noch kalt, Sarah bekommt es lauwarm und Lilou hat mal wieder luxuswarmes Wasser. Fein so frisch und sauber. Wir starten weiter.

Ab nach Plovdiv – Kulturhauptstadt Europas 2019, aber nach Sofia erwarte ich gar nichts, rechne mit dem Schlimmsten. Aber ich werde auf ganzer Linie enttäuscht. Wir parken an einem Restaurant in der Nähe eines Parks und ziehen diesmal zu Fuß in die Innenstadt. Plovdiv ist nicht sehr groß, aber angeblich die acht älteste Stadt Europas. Es gibt einen sehr alten Kern mit einem aus der antikestammenden Theater und Häuser aus dem 18. und 19.Jhd. Im Theater wird irgendeine Fernsehshow aufgebaut. Das sieht schrecklich aus, generell sind eine Ecken touristisch ausgebaut und wirken gekünstelt. Aber Plovdiv ist wunderschön! Es gibt einige Parks und der Citypark ist ziemlich groß. Es gibt viele Spielplätze. Sie sind schön und einfallsreich für große und kleine Kinder. Es gibt Züge und Klettergeräte und einfach mehr als nur eine Schaukel und Rutsche. Das lockt viele Kinder an und Lilou kommt aus dem Schauen und Nachmachen nicht heraus. Haben wir bei 9 Grad geschlafen, sind es hier nun 27 Grad und wir genießen die Wärme. Wir essen Eis, schlendern durch die Straßen und entscheiden noch einen weiteren Tag in Plovdiv zu verweilen. Ein ganzer Tag, damit Lilou so viel am Spielplatz spielen kann, wie sie will und es keinen Stress, kein Ziel und keine Limits gibt. Schlafen tun wir mitten in der Stadt, unten am Fluss, wo nur die Angler und Spaziergänger sind. Man merkt nicht mehr, dass wir in der Stadt sind. Am nächsten Tag fahren wir mit den Rädern und durch die Erkundigungen am Vortag, hat man richtig das Gefühl man kennt sich aus. Zweimal das gleiche entdecken und in einer Stadt so vertraut sein, hatten wir seit den Cinque Terre nicht mehr. Wir feiern das ganze in einer netten Bar im Hinterhof in mitten des Gartens. Dazu bekommt Lilou neue Schuhe, Sarah echte Merinowolle zum Schnapppreis und ich Eis. Plovdiv eine wirklich schöne Stadt.

Nach vier Tagen fällt uns für unser Abendritual nur noch Gutes ein. Die Explosionsmomente gibt es nicht mehr, der Stress ist weniger und wir liebevoller, aufmerksamer als auch davor. Das Wetter hat sicher dazu beigetragen, auch wenn wir auch weiterhin täglich mit einem Regenschauer beschenkt werden. Warm ist es dennoch. Weg von Plovdiv stehen wir am gleichen Fluss in Abgeschiedenheit. Lilou spielt im Fluss und wirft Steine rein. Wir beschließen alles zu waschen und auch am nächsten Tag zu bleiben, um zu warten bis es trocken ist. Es wird richtig warm, wieder Kurzehose und die Wäsche trocknet schnell. Daneben trocknet der Croozer und Lilou spielt und schläft darin. Wir nutzen die Zeit zum sauber machen, aufräumen und nach dem vielen Matsch und Regen klar Schiff zu machen.

Traumhafter Platz

Obwohl es uns gefällt, beschließen wir am Nachmittag weiter zu fahren. Auch weil es schon wieder tröpfelt… Nur ein Stück, vielleicht in ein Restaurant gehen und die morgige Strecke verringern. Das Restaurant hat zu, die Wolken wieder dichter. Wir stellen uns an einen zweckmäßigen Platz 5 Meter neben der Straße, kochen und schlafen. Der Regen prasselt auf die Markise.

Verhängnisvoller Parkplatz

Morgens frühstücken wir drinnen. Es ist nass und kalt. Es beginnt ein Tag, an dem man sich wünscht, man weiß wie er zu Ende geht, an dem man gerne die Zeit zurückdrehen und das Ganze nochmal anders machen könnte. Es beginnt ein Tag mit Schrecken, Verzweiflung und am Ende Angst. Wenn wir das beim Frühstück gewusst hätten, wären wir wohl einfach noch ein wenig stehen geblieben. So aber packen wir zusammen, setzen uns ans Steuer und rollen los. Von der Wiese auf den Weg, der die wenigen Meter zur asphaltierten Strasse führt. Der Weg ist mit hohen Gras bewachsen und steil. Ein Verhängnis, den kaum gebe ich Gas, drehen die Räder durch, der Wagen beginnt zu Seite zu rutschen und vorwärts bewegen wir uns keinen Zentimeter. Wir stecken fest. An dieser Stelle ist noch alles in Ordnung, wir steigen aus, schauen uns an, was los ist. Schlamm und Matsch ist los, der viele Regen! Aber weiter hinten ist es steiniger. Also rollen wir ein wenig weiter zurück, Sarah lots und ich lenke. Ich gebe Gas, die hinteren Räder greifen, die vorderen nicht, wir rutschen, wir schlittern, wir sitzen fest. Okay, ich fange leicht an zu schwitzen. So wird das nichts und der Hang immer steiler. Es ist kurz nach 10 Uhr. Durchatmen und Hilfsmittel finden. Wir finden einige dünne gefällte circa 1m lange Holzstämme. Wir legen sie hinter die Vorderreifen. Sarah übernimmt das Steuer, ich lotse. Sie ist die bessere Fahrerin. Mit Schwung fährt sie drauf, anders geht es nicht. Aber die Hölzer fliegen weg, es bleibt nur ein Rad stehen. Ich versuche davor Stämme zu legen und eine Bahn zu ziehen. Auch nach drei Anläufen haben wir keinen Erfolg. Der Spielraum der Versuche auf einen letzten reduziert. Der Weg führt geradewegs an einen Bach, der genau hier seine tiefste Stelle hat. Wir wollen nicht hinein, haben Angst etwas kaputt zu machen. Also noch ein Versuch mit Holz und Stein und viel Mut. Vergebens, wir stecken fest.

Ich bin mittlerweile vollständig nass geschwitzt. Lilou ganz aufgeregt und hört nur mit Schnuller auf zu kreischen und auch Sarah, die so unerschrocken jede Situation rockt, zeigte Sorgenfalten. Was nun? Einmal musste so was passieren, das war uns klar. Wir sind groß und nicht ganz auf den Kopf gefallen, das wir schon gehen. Wir versuchen zuversichtlich zu sein. Wir haben aber kein Vierradantrieb und im rückwärts fahrend ist Nito einfach stärker. Vielleicht ging es, wenn wir anders herum stehen. Ich bin nicht ganz schwach, aber um das Auto einmal umzudrehen, da bräuchte es schon mehr als einen von mir. Hinter dem Bach ist wieder ein wenig mehr Weg und Wiese. Eine Möglichkeit zum Umdrehen. Es wirkt immer mehr, als wäre es eine gute Idee. Doch durch den Bach zu fahren, auf der anderen Seite umzudrehen und wieder zurück zu fahren? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wir gewinnen nicht! Und das obwohl wir wagen. Sarah fährt und der Bach ist tief überall unterschiedliche Steine und das Wasser steigt bis über die Räder. Ich sehe das Wasser am Kofferraum schon über die Heckklappe laufen und befürchte das Schlimmste für die Küche dahinter. Da bleibt Sarah stehen. Es geht nicht weiter. Mitten im Bach, das Wasser schießt unten und an der Seite vorbei. Ich bin noch so ruhig, um ein Bild zu schießen, gehe dann hinter den Bus und versuche mit aller Kraft die festen Steine zu lösen und zu entfernen. Der Puls steigt, hier zu stehen, wäre der Supergau. Sarah gibt Gas. Es fährt, setzt auf und bleibt stehen. Panik steigt in uns beiden auf. Noch einmal, Gas und Hoffnung und schon sind wir auf der anderen Seite. Schnell schaue ich unter das Auto, das Wasser läuft heraus, aber alles sieht ganz aus. Einen Reflektor von hinten hat es gelöst und weggespült. Ansonsten alles dran, wir zittern. Sarah dreht um und ich baue aus Steinen eine kleine Rampe, um auf der anderen Seite wieder heraus zukommen. Wir probieren es einmal, es klappt nicht. Dann sind wir mit den Nerven am Ende. Ich bin pitschnass vom Schweiß und Bach und meine Klamotten zieren braune Erdklumpen und Matsch von den spritzenden durchdrehenden Autoreifen. Uns wackeln die Knie.

Erneut durchatmen, Pause. Uns ist klar, wir brauchen Hilfe. Zusammen mit Lilou geht es an die große Strasse. Mittlerweile sind es 10 Meter, aber das eine so kurze Distanz so viele Probleme machen kann. Hätten wir es doch zu Beginn rückwärts probiert. Oder hätten wir gewartet, bis der Boden in der Sonne ein wenig trocknet. Hätten wir uns doch nicht für die Bachvariante entschieden. Hätte hätte hätte… Was man hinterher alles besser weiß. Wir haben es so gemacht, gut war es nicht, was sollen wir tun? Da stecken wir nun, es geht keinen Meter weiter. Am Strassenrand versuchen wir jemanden aufzuhalten. Zum Glück kommen einige Autos hier vorbei. Pech ist nur, das keiner hält. Mir kommt, plötzlich der ADAC. Wir haben extra eine Mitgliedschaft und Europaversicherung abgeschlossen. Ich setze mit der App den Pannennotruf ab. Keine zwei Minuten später, werde ich angerufen. Ein freundlicher Mann, aber keine weiteren zwei Minuten später ist klar: Er kann uns nicht helfen. Das Auto hat keinen Schaden – hätte ich doch ein wenig geflunkert – und rausziehen, machen sie nicht. Na toll! Er schickt mir die Nummer vom Bulgarischen Club, vielleicht können die helfen, meint er noch und legt auf. Ich rufe nicht an, da genau jetzt ein kleiner Stau neben uns entsteht. Vier Autos bleiben stehen und fragen uns was los ist. Nur einer kann ein wenig Englisch und der meint, wir sollen 112 anrufen. Dann fahren drei Autos wieder ohne noch etwas zu sagen. Das Vierte bleibt da, ein Pärchen und sie versuchen uns irgendetwas auf bulgarisch zu erklären. Man merkt sie überlegen und dann irgendwann verstehen wir, dass sie für uns ins nächste Dorf fahren wollen und Hilfe holen. Wir sollen warten, aber abseits der Straße. Sie holen Hilfe. Dann fahren sie los. Wir sind ein wenig erleichtert, entspannter und gehen zurück zum Auto.

Mittlerweile ist es mittag und Lilou muss unbedingt schlafen. Ich nehme die Manduka und keine 5 Minuten später, schläft sie friedlich an meinem Bauch. Beim Hin und Her laufen, entdecke ich im Gestrüpp einen alten verlotterten Zaun. Er ist schon ganz in sich gefallen und bewachsen. Aber es sind einige Bretter und Bretter können wir gut gebrauchen. Ich zeige sie Sarah, die sich gleich daran macht, sie heraus zu holen und die matschigen Pfade zu bedecken. Ich bin der Faule, ich lege mich mit Lilou hin, damit sie richtig schläft und schlafe selber ein. Als ich wach bin, ist es nach 13 Uhr. Vor zwei Stunden hatte das Pärchen sich auf den Weg gemacht, das nächste Dorf ist nicht fern, wir wundern uns. Sarah hat in der Zwischenzeit eine Rampe gebaut und es sieht vielversprechend aus. Außerdem ist die Sonne rausgekommen, sie hat den Matsch getrocknet. Wären wir jetzt losgefahren, womöglich wären wir gar nicht stecken geblieben. Aber wieder diese hätte und wäre. Es ist nun so. Ich schaue es mir an und dann beschließen wir es nochmal zu probieren. Lilou wacht auf und ist ganz gut gelaunt. Oder doch noch warten? Aber irgendwie fange ich an zu glauben, dass die Hilfe nicht mehr kommt. Vielleicht sind sie doch einfach weiter gefahren. Aber eigentlich sind die Menschen hier nicht so, wenn sie was sagen, dann versetzen sie Berge, um es zu tun. Die Zeit spricht gegen sie. Wir starten einen neuen Versuch.

Bretter als Rampe

Sarah fährt an, versinkt im Bach, trifft die Bretter und kommt ein Stück hoch, dann steckt die Spitze des Autos im Wasser, der Motor jault und vorbei. Sarah nun ängstlicher als zuvor, dreht um und fährt vor. Das geht nicht, viel zu tief. Es war so vielversprechend mit den Brettern. Ich schaue mich um, es glitzert im Wasser und ich sehe unser Nummerschild. Die Halterung ist abgebrochen, weitere Schäden sehe ich nicht. Ich glaube an die Lösung, also sammel ich die größten Steine vom oberen Bachlauf, die ich tragen kann und fülle das Becken. Ich will es stopfen, damit wir durch fahren und mit den Brettern den Hang hoch kommen. Sarah hilft mit und wir sind nach wenige Minuten bis zu den Ohren nass. Der Bachlauf ändert sich, das tiefe Becken verschwindet und wir probieren es erneut. Anfahren, Gas, Bach, Bretter, das Auto steckt, der Motor jault, die Bretter krachen und borsten zu allen Seiten. Es raucht, wir haben Panik, zurück, vorbei. Es klappt nicht und nun ist der Moment, an dem ich wirklich verzweifel. An diese Lösung habe ich geglaubt, aber jetzt ist klar, alleine schaffen wir das auf keinen Fall. Der Motor ist heiß gelaufen, man riecht verbranntes Plastik. Hoffentlich ist alles gut.

Was nun? Das die Hilfe kommt, glauben wir nun beide nicht mehr. Wir rufen den Bulgarischen Club an. Wir wollen hier weg und auch wenn das nun viel Geld kostest. Andere Club, gleiche Aussage. Sie können uns nicht helfen, feststeckende Autos ist nicht ihre Angelegenheit. Oh man, jetzt wird es langsam unlustig. Ich schlage vor, selbst in nächste Dorf zu fahren. Natürlich mit dem Rad, das Auto steckt ja bekanntlich fest. Sarah schlägt vor, zuerst nochmal zu versuchen einen Jeep oder ähnliches anzuhalten. Vielleicht kann uns jemand direkt helfen. Aber nach kurzen Warten an der Straße wird mir klar, dass wäre jetzt gerade schon zu viel Glück. Wir brauchen jetzt Hilfe. Also beschließe ich, dass es nun an der Zeit ist den Notruf abzusetzen. Man scheut so davor, wenn man nicht wirklich in einer Notlage ist. Anderseits hoffen wir, dass sie uns helfen oder wenigstens sagen können, wo wir Hilfe bekommen können. 112. Es läutet und sie verstehen Englisch. Wir stecken fest und brauchen Hilfe. Da sind wir hier falsch, da müssen wir die Pannenhilfe – den Bulgarischen Club – rufen. Haben wir, der meinte auch, wir sollen den Notruf wählen. Das ist blöd, weder die Feuerwehr noch der Notruf kann uns helfen, geschweige den haben sie einen Wagen, der uns rausziehen kann. Es tut ihnen leid, sie können uns nicht helfen. Sie legen auf und wir wissen nicht mehr weiter. Was tun, wenn nicht mal mehr der Notruf helfen kann?

Wir haben keine Wahl, wir müssen mit dem Fahrrad los und hoffen, das wir einen Bauern mit einem Traktor oder jemand mit Jeep finden, der uns abschleppen kann. Wir beschließen uns aufzuteilen, einer mit Lilou hier und der andere mit dem Rad. Sarah kann mehr Sprachen, aber eigentlich sollte ich fahren. Sie fährt und ich koche für Lilou. Wir haben vor lauter Aufregung noch nicht mal etwas gegessen. Sarah ist keine 5 Minuten weg, da klingelt mein Telefon. Es ist der Notruf. Sie können uns nicht helfen, aber sie haben die Polizei verständigt und die kennen jemand, der kann uns helfen. Ich bin erleichtert. Während er mit jemandem auf bulgarisch redet und meine Antworten übersetzt, fragt er mich nach der Größe, Typs und Gewichts des Autos. Auch wo wir sind. Dann gibt es die Aufforderung an der Straße zu warten, bis sie kommen. Wir legen auf und ich schaue zu Lilou, die das größte Chaos im Auto angerichtet hat, seit der Reise. Alles ist rausgezogen und auf das Bett geschmießen. Heute bekommt sie auch echt wenig Aufmerksamkeit. Ich rufe sofort Sarah an und erzähle ihr alles. Sie stöhnt, jetzt muss sie den ganzen Berg wieder hoch fahren. Lilou und ich rennen an die Strasse und bei jedem Auto bleibt mir der Atem stehen. Aber von einer Polizei ist keine Spur. Dann taucht Sarah auf und kurz danach bleibt ein rosa Jeep neben uns stehen. Der Sticker Bio und Biogas Sonne kleben am Heck. Ein Mann steigt aus, er spricht nur bulgarisch. Er schaut auf das Auto, schüttelt ein wenig den Kopf. Wahrscheinlich denkt er sich, diese Touristen. Und recht hat er. Dann fährt er ohne zu zögern bis zum Bach. Er holt ein altes Drahtseil aus dem leeren Kofferraum, die Haken, lassen sich nicht mehr richtig schließen und wirft es mir herüber. Ich hänge es ein und noch bevor ich sitze und den Schlüssel ins Auto stecke, gibt er auch schon Gas. Die Bremse ist nicht gelöst und so passiert nichts, außer das sich das Seil mit den kaputten Haken von seiner Anhängerkupplung löst. Nochmal dran hängen, währendessen beseitigt er alle Bretter und dann geht es auch schon los. Er gibt Gas, wir schießen durch den Bach und den Hang hoch. Ich habe den Motor noch nicht einmal gestartet. Ich bin so irritiert von der Schnelligkeit und überfordert, dass ich sogar vergesse zu lenken. Sarah schreit und ruft und dann merke ich, dass ich direkt an dem Auto vorbei in den Abgrund steuere. Schnell reise ich das Steuer rum, starte den Motor und versuche wieder auf die Spur des Jeeps zu kommen. Fast fahre ich ihm hinten drauf, dann sind wir auf der Straße. Die Erleicherung ist riesig, unsere Freude unermässlich und unsere Knie zittern. Schon gerettet, da war es nochmal knapp. Der Mann steigt aus, grinst und wir fallen auf die Knie mit Dankesgesten. Nichts will er haben, nichts dürfen wir ihm geben. Er steigt einfach wieder ein und fährt. Wir fallen uns in die Arme ganz aufgelöst und der Schock sitzt uns beiden tief in den Knochen. Wir sind so erleichtert! Lilou bemerkt die Aufregung, sie ist ganz ruhig geworden.

Immer noch auf der Straße montieren wir schnell die Räder und fahren los. Meine Knie sind so weich, dass ich kaum Gas geben kann. Wir fahren 50 Meter, dann gibt es eine Bucht und Trinkwasser. Erstmal verschnaufen, Wasser auffüllen und durchatmen. Wir tanzen und freuen uns und Lilou nutzt die Gelegenheit, um mit den neuen Schuhen ganz viel im Wasser rum zu planschen. Nicht unser bester Tag, keine Glanzleistung und doch, wenn man so Lilou betrachtet, könnte man meinen, die Sorgen dieser Zeit, sind völlig überwertet. Einfach mal pitsch patsch Füsse nass!

2 Kommentare zu „Wenn nicht mal mehr der Notruf helfen kann“

  1. Ihr werdet zu richtigen Psychotherapeuten 😋
    Super gemeistert diesen Schlamassel! Ich hab beim Lesen total mitgezittert 😱

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.