Mafia, Hupe, Tennisstunde

So unerwartet, so aufregend, so facettenreich, so spektakulär, so einzigartig und vor allem überraschend! Und das sind nur wenige Adjektive, die unseren Aufenthalt in Neapel – Napoli beschreiben. Napoli, eine der wohl berüchtigsten Städte und anerkannter Ort der italienischen Mafia. Man hat uns gewarnt das Auto stehen zu lassen und ich als eingeschweißter Angsthase erwarte hinter jeden Ecke einen Raubüberfall des größten Mafiabosses höchstpersönlich. Dennoch wollen wir erstmal hin und schauen was uns erwartet.

Von Rom geht es Richtung Meer und dort entlang. Dort steht eine Ferienanlage nach der anderen und es gibt kaum öffentlichen Zugang zum Wasser. An einer der wenigen Möglichkeiten halten wir und machen Pause. Am Sandstrand spielt Lilou in diesem riesen Sandkasten. Vor den Wellen weg laufen macht besonders Spass, aber nur wenn Papa ganz nah mitrennt und aufpasst. Es geht weiter an den ausgestorben Touristenattraktionen entlang. Dort wo keine Touristen erwartet werden stehen Baracken, kommt Einöde und dort lassen sich immer wieder nicht fertig gestellte Bauten finden. Man versteht nicht wer sie aus welchem Grund bauen wollte. Große mehrstöckige Gebäude und darum nichts. Wir verlassen den Strand und fahren wieder ein wenig rein, folgen der Straße, die in einer Sackgasse endet. Baustelle. Wir kommen nicht weiter, also zurück. Jetzt ist auch klar warum die lange Straße von einigen leicht bekleideten Damen bevölkert ist. Zurück und an einer anderen Stelle noch weiter ins Landesinnere, wieder einen Hügel hinauf. Der nächste auserkorene Schlafplatz in der Nähe von Sperlonga. Wir schlafen umgeben von Kühen zwischen ihren Trinkteich und Futterwiesen und Lilou begrüßt jede Einzelne. Die Glocken und Kufladen findet sie toll.

Nach dem Abendessen erfolgt der erste richtige Regenguß und wir entdecken die erste kleine Schwachstelle in unserer Markise. Es gibt noch Handlungsbedarf, der Abstand von Markise zum Dach bietet noch Wassereinlass und so tropft es in den Vorbereich hinunter. Wir werden die nächsten Tage wohl nochmal ein wenig mit Plane basteln und auch dieses Hindernis erledigen. Morgens hat es aufgeklärt und es geht weiter nach Neapel. Sarah hat erneut einen Park im Visier und hofft auf dem Parkplatz davor stehen bleiben zu können. Ich vertraue ihr, macht sich das immer bezahlt. Aber in Neapel angekommen wird uns, aber vor allem mir, doch Recht mulmig. Die Warnungen kreisen mir im Kopf und ich Sorge mich.

Wir haben die Türe noch nicht einmal richtig geöffnet, da steht ein älterer Herr an unserer Seite. Er blickt auf unser Auto und auf uns. Woher wir kommen? Und was wir hier tun, will er wissen? Ich bin schon dabei meine gesamten Wertgegenstände zu suchen und alles raus zu geben, Hauptsache er lässt uns lebend gehen. Aber Sarah antworten ganz freundlich und fragt ihn gleich, ob es okay ist wenn wir hier schlafen. Er kommt aus Neapel, aber ob das in Ordnung geht kann er nicht sagen. Direkt schwärmt er von der Stadt und sagt uns, dass wir im Park ein schönes Panorama sehen können. Wir bedanken uns und folgen seinem Rat. Vielleicht erstmal kurz verschnaufen, ankommen und ich denke mir still, sicher gut nichts auszuschlagen was uns hier gesagt wird. Es ist ein großer Park. Vorne sitzt ein Parkwächter. Eintritt nur mit Maske und ohne Hunde. Vor uns geht eine Frau ohne Maske mit ihrem Hund hinein. Generell sind einige Hunde mit ihren Begleitern unterwegs. Regeln, dass muss ich schnell lernen, die gibt es hier nicht. Beziehungsweise hält man sich nicht dran. Es gibt andere Regeln, einen eigenen Kodex.

Es folgt ein Spielplatz und nachdem Lilou sich ein wenig ausgetobt hat, geht es weiter. Es eröffnet sich ein kleines Plateu und wir spazieren hin, um die Aussicht zu begutachten. Da sitzt er, der freundliche Herr, auf einer Bank und betrachtet sein Panorama. Ganz so als wäre es seine Stadt. Er heißt uns erneut willkommen und freut sich, dass wir wirklich gekommen sind. Er ist charmant und freut sich über Lilou. In meinen Augen ist er der perfekte Mafiaboss. Redegewandt, freundlich, charmant und leicht erhaben. Und dieser Blick über die Stadt. Ich bin mir auf jeden Fall sicher, ich tue alles was er sagt.

Ich werde mit jedem Schritt vom Auto nervöser und dennoch verschaffen wir kurz in der Sonne eine Pause. Essen Obst und schauen Slaklinern und ein paar Mädels bei der Akrobatik an einem langen Tuch zu. Zurück am Auto, ist noch alles in Ordnung, außer das wir im absoluten Halteverbot stehen, was ich erst dann bemerke. Wir sind uns immer noch nicht sicher, ob wir hier stehen wollen. Es ist ziemlich viel Verkehr und kein Platz, um zu kochen, geschweige den mit dem Campingtisch zu Essen. Außerdem kostet das Parken Geld. Sarah meint, sie schaut sich Mal ein wenig um und ich verkrieche mich so lange mit Lilou im Autoinneren und schließe alle Türen. Nach dem Wickeln mache ich das Auto doch kurz auf, um die Windel in den Müll zu schmeißen. Da spricht mich direkt von der Seite eine tiefe Stimme an. “Where are you from?” Innerlich zucke ich zusammen. Suche erneut im Kopf alles Wertvolle zusammen und stürze mich auf Lilou, um sie vor den Kugeln zu retten. Ich antworte und bekomme ein Lächeln von der Familie, die neben uns geparkt hat. Wie toll das ist und schön das Auto aussieht, sagen sie mir. Nepal ist ein guter Ort für einen Besuch, erzählen sie mir. Ich atme einmal tief ein und ziehe meine kugelsichere Weste in Gedanken aus.

Sarah kommt zurück und zählt die Optionen auf, die wir haben. Ihr ist es auch nicht ganz geheuer hier. Ich merke das. Aber gegenseitig machen wir uns immer wieder in solchen Momenten ganz unbewusst und stillschweigend Mut. Neapel verlassen bevor wir es gesehen haben, kommt für uns eigentlich nicht in Frage. Campingplätze sind Coronabedingt zu. Also schlägt Sarah vor, den nahegelegenen Tennisplatz zu fragen, ob wir da stehen dürfen. Vielleicht beste Option. Aber einfach so fragen? Mehr als Nein sagen, werden sie wohl nicht. Sie schnappt sich Lilou und läuft erneut los und ich bleibe das erste Mal mutig vor der Autotür und räume auf. Eine weinende Lilou und eine freudestrahlende Sarah kommen zurück. Ich checke erstmal Lilou ab, aber sie zeigt keine Fremdeinwirkung. So begreife ich erst jetzt, was Sarah mir sagt. Wir können auf den Platz und weil die Auffahrt so schwer zu finden ist, holt uns der Besitzer ab. Wir fahren den Hügel runter und uns kommt ein Mann entgegen. Sarah winkt ihm zu und er dreht direkt auf der Spur um und lotst uns den Weg. Besser beschreibt es Pfad. Den als wir steil abbiegen, wird es schlagartig eng und ich bezweifle das wir dort durchkommen. Erst recht, als an der Seite Autos parken. Ich denke mir noch kein Wunder, dass jedem ein Seitenspiegel fehlt oder die Türen verkratzt sind. Der Mann vor uns heizt nur so an ihnen vorbei und Sarah direkt hinter her. Sie kennt da keine Furcht. Ich öffne das Fenster und rufe nur, 2cm, 1cm, wenige Milimeter und versuche den rechten Abstand durchzusagen. Einmal steigt der Mann aus, lotst uns und dann sind wir oben. Ein großer Parkplatz vor zwei Tennisplätzen und einem Fußballplatz. Hinter uns ist ein großes Tor und wir können unser Glück kaum fassen. Hier ist viel Platz und wir sind sogar ein wenig geschützt. Ein kostenloser und überwachter Parkplatz und ich fühle mich schlagartig sicherer.

Wir sperren das Auto über Nacht nicht ab und schlafen seelenruhig. Morgens ist der Bruder vom Mann gestern da. Grimmig schaut er uns an. Dann kommt er mit frischem Kaffee und erklärt uns, dass dieser der Richtige und Gute ist. Genau wie sie als Neapolianer. Er gibt und Tipps für die Stadt und erklärt uns das bis 18 Uhr jemand da ist. Wir können also unser Auto sicher hier lassen. Wir bedanken uns für die Freundlichkeit, können unser Glück kaum glauben und steigen auf die Räder bzw. in den Fahrradanhänger ein. Sarah hat mich bereits am Abend davor auf heftigen Verkehr vorbereitet und ich bin drauf eingestellt. Eine klare Fehleinschätzung! Auf dieses Pflaster kann man nicht eingestellt sein, wenn man es nicht kennt. Wie gesagt keine Regeln und Rom ist Kindergarten dagegen. Rote Ampeln werden bewusst übersehen. Man wird von Scooter und Auto gleichzeitig überholt. Die Kreuzungen sind unübersichtlich, das sich keiner an die Linien hält, macht es nicht leichter. Ich sehe keine Autos ohne Macken, Kratzer, Beulen oder fehlende Teile. Wir sind noch auf einer guten Straße, ein rauhes Pflaster in Beschaffenheit und Moral. Aber man spürt eine Moral. Eben einen Ehrenkodex. Der unausgesprochen über Neapel schwebt und gilt.

Man muss ihn sehen und sich dem Fluss hingeben. Das bedeutet die innere Spießigkeit, Ängste und vor allem Vorurteile fallen und los zu lassen. Ich übe mich darin, atme erneut tief und werde aufgeschreckt von wilden Hupen. Ständig wird gehupt. Lange, kurz, viele kurze, leise, intensiv. Und es dauert nicht lange und man versteht den Sinn. Die Kommunikation und nicht das genervte aggresive “Was bist du den für ein Depp” gehupe, was ich aus Deutschland kenne. Nein, es ist eine Sprache. Die Scooter und Autos melden an, wenn sie an einem vorbei fahren, geben Zeichen wie eng, schnell und knapp es wird. So wird jeder Verkehrsteilnehmer zu einem Wesen in diesem riesen Schwarm. Also drängen wir trotz Anhänger auf unser Recht, beisen uns durch den Verkehr und Enden an der Fussgängerzone.

Eine lange Straße, die einmal durch Neapel führt. Ich bin ein wenig froh vom Rad zu steigen und noch alle Gliedmaßen an mir zu haben. Lilou sitzt nur chilling hinten und schaut zu allen Seiten raus. Ist Rom gespickt von Sehenswürdigkeiten, so ist Neapel die Sehenswürdigkeit an sich. Es sind die Gebäude, die wie -so scheint es – ein einziger Bau aus der Küste über das Meer ragt. Es ist die Enge der Gassen, die Prunkbauten von Kirchen. Die Schreine mittendrin an den Häuserseiten, Wänden und Ecken mit Bildern von Heiligen und Familie, wahrscheinlich verstorbene Mitglieder. Aber es sind vor allem die Menschen und das Gefühl von Leben. Eine Ironie denkt man erneut an die Mafia. Die Menschen leben hier auf engsten Raum und in einem Konglomerat, dass nur funktionieren kann wegen diesem Unausgesprochen. Man sieht wie jemand Sachen in einen Korb legt und er über 5 Stockwerke hoch gezogen wird. An einer anderen Stelle werden Sachen hinunter geworfen. Unten sind Läden, meistens Strassenweiße einem Motto zugeordnet. Wieder Ironie, Ordnung im Chaos. Also eine Straße Bücher, eine andere Souvenir, etc. Nur Bars und Pizzarien sind überall verteilt. Und über den Läden Wohnungen. Man sieht es an den Wäscheleinen, die überall aufgespannt sind. Sicherlich wird das Kleidungsstück, welches herunterfällt, sofort verkauft. Wenn man die Masken, die meistens unter dem Kinn oder alibiweise unter der Nase hängen und die Schlange vor dem Krankenhaus ignorieren würde, vielleicht würde man Corona einen Augenblick vergessen. An dem Tag an dem wir ankommen sind, wird die Zone von rot auf orange. Aber man sagt uns immer wieder, dass nichts anders ist. Hier herrscht Leben. Daran ändert auch das Militär und Polizeiaufgebot nichts. Sie schreiben Parksünder auf und stehen vor den Gebäuden. Auf Abstand wird nicht kontrolliert, wie auch? Platz ist keiner da. Neapel ist großartig, indem was es ist. Aber was es ist, ist so schwer zu beschreiben, man sollte es erleben.

Wir laufen zu Fuß weiter, anders kommen wir auch kaum vorwärts. Wir folgen der Hauptstraße und Sarah schaut Sehnsüchtig in jede enge Seitenstraße hoch. Aber erstmal wollen wir schauen. Wir sehen in die prunkvolle Galleria Umberto I und sind beeindruckt, während sich bei unserem Anhänger die Leute stauen. In Italien, so bestätigt man uns, kennt man keine Fahrradanhänger und Kinder kommen erst aufs Rad, wenn sie alt genug sind. Aber es fasziniert sie ungemein und ein Kind darin, lässt sie beinah in Ekstase verfallen. Piccolino, Bambina, Bellisima und so vieles wird hinter her gerufen. Jeder will rein schauen und Lilous winkt freudig heraus. Die Leute rasten aus und Jauchzen. Es ist echt eine Sensation für sie, man kann es gar nicht nachvollziehen. Und als ein Mann mit seinem kleinen Hund für Lilou zeigt, welche Kunststückchen der Hund kann, jubbelt Lilou und es bildet sich eine Menschentraube. Alle wollen die drei sehen. Den Hund, den Anhänger und Lilou. Wenn die Mafia bisher nichts von uns wusste, jetzt bin ich mir sicher, dass sie von uns gehört hat.

Erst in der Seitengasse bekommen wir wieder ein wenig Ruhe und so geht es nach einigen unauffälligeren Ecken, die einen dennoch verzücken und staunen lassen, in eine der bekannten Pizzarien. Natürlich nur zum Mitnehmen und so steuern wir erneut mit den Rädern den Hafen für die Mittagspause an. Wir kommen auf die Hauptstrasse. Und auch wenn nur zwei Spuren eingezeichnet sind, und neben der Parkspur noch eine weitere Reihe geparkt wird, fahren die Leute auf drei Spuren. Oft dann halt auf die andere Fahrbahn. Es gibt zum Glück einen Radweg. Aber nur bis zu einer Baustelle. Um überhaupt wieder runter kommen zu können, muss Sarah ein Baustellenpoller verstellen. Die Polizei steht daneben. Als sie es zurück schieben will, nachdem ich mit Lilou durch bin, sprechen sie uns an. Aber nicht mit keine Bewegung, sondern “Lasst es einfach so stehen, passt schon.” Und dann helfen sie uns noch die Straße zu überqueren. Natürlich nicht ohne Lilou zu zu winken. Wir dürften nicht einmal hier sein und bekommen stattdessen eine Polizeieskorte. Neapel nimmt mir jegliche Angst. Kein mulmiges Gefühl mehr! Wir sind angekommen auf der Reise.

Mehr noch auf dem Weg zurück zum Tennisplatz von Gigi, merke ich mein italienisches Blut. Der unausgeprochene Ehrenkodex leuchtet hell auf, man versteht es und ich gebe mich ganz dem Fluss hin. Ich fahre auf die dritte nicht existierende Spur, sage den Autos wo ich jetzt und zwar sofort lang fahre und die rote Ampel gilt erst, wenn auf der anderen Seite die Scotter los gefahren sind.

Oben angekommen, ist alles noch da. Das Auto wurde nicht angerührt und wir bekommen sogar noch die Möglichkeit über Nacht Dusche und Klos vom Tennisplatz zu nutzen. Man vertraut sich jetzt – ist ja klar. Sarah bedankt sich und reserviert gleich eine Tennisstunde bei Gigi. Am nächsten Morgen lässt sie den Ball über das Netz fliegen, während Gigi beeindruckt Anweisungen zuruft. Lilou und ich gehen auf den Spielplatz. Das Auto lass ich offen. Auch wenn mich die Mafia nicht angesprochen hat, ich weiss der Familie mit dem Mädchen im Fahrradanhänger tut man nichts. Und dann verlassen wir den Platz. Abschied ist angesagt und man merkt beide Seiten sind traurig. Danke für die ganze Herzlichkeit.

Statt mit einer eingeschlagenen Fensterscheibe und ohne Wertgegenstände, verlassen wir Neapel mit einer Telefonnummer, neuen Bekannten für zukünftige Besuche und Lächeln auf dem Gesicht.

7 Kommentare zu „Mafia, Hupe, Tennisstunde“

  1. Wau😂😂😂 that’s a top story.
    Unglaublich, so faszinierend und kunterbunt. Sehr menschlich.
    Man möchte einfach nur weiterlesen.
    Und ich sehe die Lilou bildlich vor mir, wie die aus ihrer “Kutsche” heraus dem bewunderndem Volk gelassen zuwinkt.

  2. Herrlich, so viele Vorurteile einfach weggeblasen,habe der Mutti vorgelesen und sie hat gelacht und sich an Neapel vor 50 Jahren erinnert.

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