Heimatfilm

Ab auf die Autobahn und wieder Kilometer zählen. Wir hetzen durch Ungarn, Österreich und gelangen nach Deutschland. Deutschsprachige Länder, wie ein Film zieht es vorbei. Ein Gefühl von Heimat?

Wir schauen uns nur Budapest an und ziehen dann schnell weiter, wieder direkt aus Ungarn hinaus. Die Anweisungen, um nach Österreich einreisen zu können, lesen sich kompliziert. Bei fehlender Impfung und auch die nur bei bestimmten Impfstoffen, kommt es auf das Land der Einreise an. Es werden Einreisezettel und Tests benötigt, die anders als bisher nicht älter als 48 h sein dürfen. Alles wirkt ein wenig komplex und verwirrend. Dazu ist Sonntag und keine Tests möglich. Wir fahren an die Grenze, hauptsächlich um uns genau erläutern zu lassen, was wir nun in welcher Form tun und machen müssen. Wir wollen es richtig machen und legal nach Österreich einreisen. Die Grenze taucht auf, die Beamten kommen in Sichtweite und ich will bereits das Fenster runter kurbeln, um nach zu fragen, da werden wir durch gewunken. Kein Nachweis, kein Nachfragen und wir sind in Österreich.

Damit waren wir nur 4 Tage in Ungarn und haben 15,13 € pro Tag ausgegeben. Relativ logisch, wenn man bedenkt, dass wir noch alle Vorräte aus Rumänien hatten. 371 km haben wir zurückgelegt und Ungarn eher als Durchreise genutzt, dabei war Budapest wunderschön und die Wälder mit Zebra und co. sehr wild und außergewöhnlich. Aber wir müssen nun ein wenig Strecke machen, um den Herbst und Winter in den wärmeren Gebieten Europas genießen zu können. In Österreich erreichen wir ein Parkplatz an einem Fluss in der Nähe von Zundorf.

Ich kann gar nicht richtig beschreiben, wie es sich angefühlt nach nun fünf Monaten wieder in einem deutschsprachigen Land zu sein. Alle Schilder, alle Menschen und Geschäfte sind deutsch. Dabei ist der erste Mensch, den wir treffen, ein älterer Österreicher, der mit seinem Dialekt kaum zu verstehen ist. Doch ein bisschen Babbel Quabbel. Aber man versteht die Leute auf den Spielplätzen wieder, kann mehr als zwei drei Worte wechseln und versteht Witze und Fragen. Sogar Sarah, die die Ferne so sucht und lebt, freut sich auf den entspannten Klang. Man muss einfach nicht mehr nachdenken, alles ist leichter und sehr gewohnt. Aber genau das ist nach kurzer Zeit auch wieder anstrengend und ernüchternd. Sowohl Österreich als auch Deutschland sind so sauber, so gestriegelt, so fein säuberlich aufgeräumt, so gerade und spießig. Das Gras zu allen Seiten ist einheitlich hochgeschnitten, die Straßen gerade und eben. Und wir fallen mit unserem Gefährt mehr als sonst wo auf. Ich bekomme schnell wieder Fernweh, sehne mich nach Wildnis und Ruhe. Da hilft es mir nicht, als wir in Wien eintauchen. Eine wunderschöne Stadt und mit vielen Bekannten und Verwandten uns nicht unbekannt. Sarah hat hier studiert und wir sind hier, um Freunde zu besuchen. Doch ich vertrage den Lärm der Stadt nicht, das Getöse der Autos und Baustellen, die gefühlte Enge und die vielen Menschen. Die Stadt lebt und ich lebe gerade nicht ihr Leben. Dies und die Erkenntnis, dass mich meine Depression einholt, mir einen Schub verpasst, den ich die letzten Jahren nicht mehr hatte, führt dazu, dass wir uns für ein paar Tage aufteilen. Ich nehme die Autoschlüssel und lasse Lilou und Sarah Freunde und Verwandte besuchen, die Stadt entdecken und fahre raus in den Wald. Ruhe, Stillstand, Einsamkeit, um Einzutauchen in den Schatten, den ich nur so einzudämmen gewage. Es gibt dazu nicht viel zu berichten, nicht an dieser Stelle, zu dieser Zeit und in dieser Form. Aber dies ist der Grund, dass ich nicht viel erzählen kann, was andernorts passiert. Ich bin bei mir und in mir.

Noch nicht ganz fit, fahre ich zurück, um bei Lilou zu sein. Sie hat mittlerweile ein neues kleines Fahrrad erhalten und kann bei Tante Hannah und Leon mit ganz viel Spielzeug spielen. Alles wird mir gezeigt, von Puzzle, die Geräusche machen, ein Traktor mit Anhänger aus dem ein Schwein hinausschaut, ein fahrender Zug im Glas, über neue Kuscheltiere hin zu musizierende Spieluhren. Lilou ist ganz aufgeregt und ganz glücklich mich zu sehen. Deshalb nehme ich mir viel Zeit und gehe mit ihr gemeinsam die Spielplätze Wiens unsicher machen. So kann Sarah in Ruhe ihre Freunde genießen und wir beide seit fast sechs Monaten auf dieser Reise unabhängig von einander Zeit verbringen. Gemeinsam und gemeinsam mit Hannah und Leon fahren wir weiter zur Burg Ruttenstein. Mit ein wenig Regen, viel Wald und alten Steinen verbringen wir den Nachmittag, bis am Abend Leon um Hannahs Hand anhält. Wir schlafen bereits, aber am nächsten Morgen wird mit Bier als Sekt, unserer Geburtstaggirlande und Quetschiedeckel als wiederverwendbaren Konfetti angestoßen und gefeiert. Es gibt ein ausgiebiges Campingfrühstück mit frischen Kaffee und harten Brot, so wie man sich das vorstellt. Aber Leon und Hannah lieben unser Leben und das fahrende Haus und uns freut es jemanden an diesem Abenteuer teilhaben zu lassen. Wenn auch kurz, da wir anschließend zusammenpacken und zur deutschen Grenze fahren.

In Wien haben wir einen PCR-Test gemacht und wollen in seiner Gültigkeit die Grenze passieren. Natürlich sind wir negativ. Also geht es direkt nach Deutschland. Doch an der Grenze ist niemand zu sehen, keine Kontrolle und keine Aufbauten. Wir sind tatsächlich durch unsere ganzen Erfahrungen ein wenig verwirrt und freuen uns fast schon nach mehr als 15km doch noch die Zelte und Maschinenpistolen tragenden Beamten zu sehen. Aber wir werden nicht angehalten und so sind wir zurück in Deutschland, mein Heimatland. Ich war noch nie so lange von hier entfernt. Seit Februar bin ich nun weg und ich habe es nicht vermisst. Vermisse es nun nicht, wenn ich es sehe und dabei tauchen wir direkt in bekannte Gebiete, fahren in meine ehemalige Heimat und Orte meiner Jugend. Am Garchinger See habe ich Rettungsdienste geschoben und Narrenfreiheit genossen.

Die Erinnerungen verblassen und so zieht es mich auch nicht nach München, meiner Geburtsstadt. Alles zieht vorbei wie in einem Film, man ist ein Beobachter von außen und es ist nicht möglich in das Geschehen einzutauchen. Heimat aus einem Heimatfilm. Ich bin ganz in der Reise und diese Reise bestärkt den Entschluss auszuwandern. Deutschland und die Gesellschaft haben mir die letzten Jahre gezeigt, dass ich auf mich alleine gestellt bin. Doch ist die Erwartung in diesen sogenannten sozialen Rechtsstaat eine andere. Also ist es Zeit weiter zu ziehen, die Erinnerung ruhen zu lassen und loszulassen. Dennoch fahren wir nach München rein und besuchen Lilous Oma, die sicherlich begeistert und stolz auf dieses kleine Mädchen wäre. Und sicherlich auf uns und diese Reise. Das mit dem Auswandern, fände sie bestimmt nicht ganz so toll. Aber Italien ist ja nicht weit. Und so gedenken wir ihr, versuchen sie ein wenig zu spüren und ziehen weiter in der Hoffnung, das ihr Licht auch weiterhin so hell strahlt und die dunklen Momente erleuchtet.

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