Polarexpedition

Hätten wir von den Verlusten gewusst, vielleicht hätten wir diese Expedition niemals durchgeführt. Aber nun ist es zu spät.

Wir schreiben den 8.April 2021 und meine Gefährten und ich, wollen uns auf einen ausergewöhnlichen Ausflug aufmachen. Wir haben unsere Zelte abgebrochen, die Wärme und den Strand verlassen und uns dem kalten Aprilwetter hingegeben. Ziel war die rote Zone in und um Florenz. Hatte ich diese wundervolle Stadt bereits in früheren Tagen gesichtet, so verhielt es sich mit meinen Gefährten nicht so.

Am 6.April 2021 erreichen wir unsere außengelegene Basisstation, die zwar nicht besonders schön, aber funktionell ist. Die Temperaturen haben bereits deutlich abgekühlt und wir bereiten uns auf eine frostige Nacht vor. Am 7.April 2021 ziehen wir wieder unsere warmen Unterhosen, Longshirts und Winterjacken an. Unvorstellbar, dass wir vorgestern mit Badehose und Bikini am Strand lagen und in der Sonne bruzelten. Wir verlassen unser Schiff und steigen auf die flexibleren Fahrgestelle mit zwei Rädern. Denn eigentlich befinden wir uns hier in einer roten Zone. Man darf sich nur zum Einkaufen, Arbeiten und aus sportlichen Gründen bewegen. Letzeres ist unser Argument, die Grauzone in der wir uns befinden. Sightseeing aus sportlichen Gründen.

Mit zwei Decken mummeln wir die Kleine in den Fahrradanhänger ein und dann geht es den Hügel hinab in die Kunststadt. Oder soll ich besser sagen, die Geisterstadt. Es ist nicht die erste Begunung dieser Art, die wir seit dem Aufbruch dieser Reise hatten. Auch Bardolino wirkte wie ausgestorben, aber Florenz?!! Sehr außergewöhnlich, eine solche Touristenattraktion in dieser Einsamkeit wiederzufinden. Es sind nur sehr wenige Einheimische unterwegs. Und auf jeden dieser seltenen Geschöpfe, kommen zwei Polizisten oder Soldaten. In der Stadt wimmelt es von Streifenwagen und an jedem Monument steht ein gepanzerter Wagen und die Männer mit Maschinengewehren.

Wir halten uns stets bedeckt und trauen uns anfangs keine Bilder zu machen. Wir wollen nicht als Touristen auffallen, die hier wohl nicht mehr existieren. Plätze, auf denen ich vor Jahren Fotos machen wollte, und man diese nie ohne eine Hand oder andere Kamera des Vordermanns bzw. Vorderfrau machen konnte, sind menschenleer. Der Virus hat alles verändert. Man ist eingeschüchtert, nicht nur von den Wachen, auch von der Leere. Zum Glück gibt es unser jüngstes Crewmitglied. Sie kennt keine Angst, sie marschiert, rennt und freut sich über jedes Gesicht und winkt. So auch den grünen Gestalten mit den Waffen. Und es regt sich…

…Ihr strenger Blick verwandelt sich in Wohlgefallen, sogar Lächeln und sie winken zurück. Das Eis ist gebrochen und wir können diese Einsamkeit ein wenig genießen, sogar sehr schätzen. Was für ein Geschenk, so viel Geschichte und Sehenswürdigkeiten für sich selbst zu haben. Nur reingehen darf man nicht, das ist sehr schade. Und noch mehr vermissen wir die öffentlichen Toiletten. Alle sind zu!! Und das wird für die Expeditionisten ein echtes Problem. Sie dürfen Covid-bedingt nicht offen sein. Aber die Blasen werden voller. Wir streifen hin und her und versuchen sogar in offenen Lokalen zu fragen. Aber nirgends darf man aufs Klo gehen. Nur am Bahnhof gibt es eine Toilette. Unsere Rettung und wir sehen uns zurück in die Wildnis.

Deshalb geht es zum verlassenen Ponte Vecchio, der zu anderen Zeiten vor Schmuck mit Gold, Silber und anderen Edelmetallen nur so funkelt, und dann zurück zu den Rädern. Der Stadtbesuch war reichhaltig in Platz und Einsamkeit, die Monumente wirken noch majestätischer und gewaltiger ohne den steten Trubel und Lärm und doch fehlt der Stadt ganz klar das Leben.

Mit unserem Aufstieg mit dem Rad, zieht ein Wind auf. Ein eisiger Wind und sobald der Schweiß meiner Gefährten und mir getrocknet ist und die Sonne verblasst, spürt man den Winter. Es ist kalt und windig. Eine bedrohliche Situation… Die Nacht, so ist uns klar, wird ungemütlich. Wir bereiten uns so gut es geht vor. Leider haben wir, in der Hoffnung eine solchen Kälte nicht mehr erleben zu müssen, unsere Infarotheizung nicht mitgenommen. Unser improvisierter und in den letzten Monaten gebauter Teelichtofen hat den Transport in der Dachbox nicht überlebt. Also werden alle Vorhänge aufgehängt, Wärmflasche und Thermoskanne mit heißem Wasser gefüllt, alle Seitenwände mit Kissen und Kuscheltieren nochmal zum Schlafbereich abgeschirmt und wir kuscheln uns eng unter alle verfügbaren Decken. Alle tragen Mützen und Pullover mit Kapuzen. Der eisige Wind kriecht durch die Ritzen und man spürt die Wärme aus dem Auto entweichen. Die Dämmung halt nicht ewig…

Es ist eine enge kuschelige Nacht. Immer wieder unruhig, ob alle Expeditionsmitglieder auch wirklich warm genug haben. Immer wieder die Mütze gerade rücken. Immer wieder die Decken nach justieren. Und dann ist es 6 Uhr morgens, die Kälte hält die Nassenspitzen gefangen, ansonsten sind alle Mitglieder unversehrt. Aber der Bus ist kalt, keine Möglichkeit um lange außerhalb der Decken zu verweilen. Jedes Verlassen des Schiffs kann zu Frosterscheinungen führen und so entscheiden wir geschwind, alles so weit zu verräumen und direkt weiter zu fahren. Ohne Frühstück, ohne die Klamotten umzuziehen, einfach starten. Doch wieder taucht ein neues Hindernis auf. Die Temperaturanzeige zeigt -5 Grad und die Innenseite der Windschutzscheibe ist mit einer teilweise 1cm dicken Eisschicht überzogen. Ich kratze, die Gefährtin kocht eine neue Wärmflasche auf. Diese ist dringend notwendig, fühlen sich die Finger an, als würden sie bei der nächsten Bewegung zerbrechen. So schaffen wir es der Kälte zu entfliehen. Direkt auf den Weg zu wärmeren Gefilden und diese Polarexpedition mit all unseren Möglichkeiten zu bestehen.

Nur unser Dachgarten, unser Basilikum, der hat es nicht überlebt. Er ist erfroren und ist nicht mehr zu retten. Hätten wir nur vorher von den Verlusten gewusst…

Verluste der Polarexpedition

2 Kommentare zu „Polarexpedition“

  1. Zum Glück nur der Basilikum 😅 welch abenteuer ihr Drei. Kommt doch nach Spanien da ist es zwar jetzt auch wieder etwas kälter geworden aber doch nicht ganz so krass😃.
    PS: ich habe wahrscheinlich schon zu viele Vorgeschichten aber sobald ich gelesen habe “wenn wir von den Verlusten gewusst hätten…” Dachte ich es wurde bei euch in Florenz eingebrochen, und wartete dauernd beim lesen bis der schreckliche Teil der Geschichte kommt. Huiiiii jetzt bin ich ganz glücklich zum Glück nur der Basilikum 😜

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