Ein Blick ins Innere

Honeycomb ist nicht nur ein Abenteuer, es ist auch eine Herausforderung und soziales Experiment. 4 m2 und drei Menschen mit ihren Bedürfnissen. Ein Raum, ein Bett, ein gemeinsames Leben. Es ist nicht alles Gold was glänzt und hier kommt ein wenig Selbstkritik, ernste Wahrheit und der Abbruchgedanke dieser Reise.

Wir genießen das Schwarze Meer, so gut es eben geht. Es ist sicherlich nicht die beste Zeit, um hier zu sein. Es ist Ende Juli, dann August und damit Hauptsaison. Das spüren auch wir, die Strände sind voll und die Städte überseht mit Gummitieren und Strandklamotten. Jeder Platz heißt teilen, Strand, Meer und vor allem Schatten. Die Temperaturen steigen erneut steil hinauf und ohne Schatten ist es nicht auszuhalten. Das Schwarze Meer ist aufgehitzt wie eine Badewanne und auch nicht mehr so sauber wie das Mittelmeer. Ähnlich wie ein See besteht es aus trüben Gewässer mit viel losgelösten Pflanzen darin. Aber der Sand ist fein. Richtig gut zum Bauen und mit den vielen kilometerlangen Dünen auch mit sehr viel Platz und Form vorhanden. Die Dünen erinnern mich an die Nordsee. An einer solchen Düne stoßen wir auf andere Wildcamper. Aber nicht nur ein paar, sondern gefühlte hundert. Ein wilder Campingplatz ist entstanden und mit Dixiklos, festen Parzellen und gigantischen Aufbauten, die an Dauercamper erinnern, kaum von anderen Plätzen zu unterscheiden. Es gibt allerdings keine Duschen oder fließendes Wasser. Die Dixiklos probieren wir erst gar nicht aus, nachdem wir sehen das der Wald hinter dem Platz bereits als große öffentliche Toilette dient. Man fragt sich, warum nicht jeder eine Schaufel benutzt…

Wir bleiben nur eine Nacht, es ist uns zu voll und die Hitze zerrt an uns und dem Strom. Einen Tag können wir gut stehen, dann verursacht das überhitze PV-Modul und der im dauerbetrieblaufende Kühlschrank zu einem Stromengpass. Also fahren wir stetig weiter. Von Küste und Strand zum nächsten bis vor die Grenze Rumäniens. Wir informieren uns über die Einreisebestimmungen und wollen bereits ein Dorf bzw. kleine Stadt aufsuchen, um den ständigen Begleiter – Corona-Test – zu machen. Da erfahren wir, das es wohl überhaupt nicht nötig ist. Kurzerhand fahren wir ohne Vorbereitungen, einfach nur als Gefährt wie wir sind und unseren Pässen an die Grenze. Ein kurzer Stau, ein Mann, der die Papiere entgegen nimmt und dann eine gute Fahrt wünscht. Keine Frage, was wir hier wollen, wo wir hin wollen, ob der Test negativ ist. Einfach pure Freiheit. Wir können es gar nicht glauben, es wirkt ganz unreal. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schön offene unkomplizierte Grenzen sind. Wie schön wäre es, wenn es doch überall so wäre. Und so gelangen wir ein wenig überrascht, mit dem Gefühl es gar nicht fassen zu können in Rumänien, das sechste Land!

Doch bevor wir hier weiter erzählen, sollte Bulgarien an dieser Stelle abgeschlossen werden. In Bulgarien waren wir nach Italien mit 28 Tagen bisher am längsten. Klar, es war kurz durch den Aufenthalt in Griechenland unterbrochen, aber dennoch hat es uns so gut gefallen, dass es sich jeden Tag gelohnt hat. Bulgarien ist definitiv ein unterschätztes, vielseitiges und großes Land. Es gibt wunderbare Berge mit Wanderrouten und Skigebieten, große ebene Weiten und natürlich die Küste mit dem Schwarzen Meer. Sofia hat uns nicht so gut gefallen, dafür hat Plovdiv alles wieder wett gemacht. Die Menschen sind sehr freundlich und hilfsbereit auch wenn eher die Jüngeren Englisch können. Aber Bulgarien wirkt ein wenig wie in einem Dornröschenschlaf. Wie aus alten Zeiten, in einer vor Jahrzehnten herrschenden Hochphase ragen große Gebäude, Hotels im Palaststil, ganze Ortschaften und zahlreiche Häuser überall verteilt aus der Landschaft. Doch sind die Scheiben eingeschmiesen, die Dächer eingebrochen und aus den verschiedensten Öffnungen wachsen Bäume, Sträucher und andere Pflanzen. Jedes Dorf beherbergt mindestens eins dieser alten Zeugnisse. Auch die Strassen sind bewachsen, oftmals abgerutscht oder mit vielen Schlaglöchern nur noch auf einer Spur zu befahren, auch wenn es mal zwei gab. Hier sehe ich zum ersten mal Warnschilder mit einem Kreis darauf- Achtung Schlaglöcher! Die Bäume und Büsche hängen oben herab und verengen das Strassenbild, so dass wir mehrmals einen Ast auf unserem Dachträger mitnehmen. Es wirkt als wäre Bulgarien verarmt und strebt dennoch zu einer alten Größe. Eins von drei Hotels wird betrieben und wirkt wie das Dornröschenschlösschen. Und Bulgarien hat viel zu bieten, neben der wilden und wunderbaren Landschaft ist es ideal für eine solche Reise. Die Menschen hier sind selbst mit ihren Wohnmobilen unterwegs und die Infrastruktur bietet alles was man braucht. An jedem großen Parkplatz, in jedem Dorf und manchmal an irgendwelchen Bushaltestellen gibt es große Mülleimer. Außerdem zelebrieren die Bulgaren ihr Wasser und werden unzählige Quellen mit öffentlichen Entnahmestellen bestückt. Die Brunnen und Quellen sind so zahlreich, dass sie gar nicht mehr auf den Karten verzeichnet sind. Man kann sich fast sicher sein: um die Ecke gibt es sicher wieder eine Quelle. Man erkennt sie gut, den oftmals werden direkt kleine Rasthütten daneben gebaut, die einen großen Tisch und öffentlichen Grill bieten. Alles ist sauber und tadellos. Manchmal sind die Quellen Gedenkstätten und so zieren Bilder von Familienmitgliedern und Daten wann sie geboren und gestorben sind den Ausfluss des Quell des Lebens. Mir persönlich gefällt diese Idee. Die Brunnen sind so üppig das oftmals mehrere Hähne entspringen. Das ist auch gut, den viele Einheimische kommen mit dem Auto voller Plastikkanister und füllen das Wasser ab. So haben wir nie Probleme sauberes Wasser in ausreichender Menge zu finden.

Bulgarien ist daneben günstig, außer an der touristischen Küste des schwarzen Meeres. Deshalb geben wir in den 28 Tagen insgesamt 820,73 € aus, was 29,31 € pro Tag entspricht. Damit können wir unseren Schnitt wieder ein wenig senken und sind somit insgesamt bei 36,69€ pro Tag. Für das Essen sind es 14 € Euro pro Tag und damit günstiger als in Griechenland und Italien. Auf die Melonen hätte man verzichten können, wir kosten viele und auch verschiedene Sorten, fragen nach den Besten, aber wirklich keine schmeckt. Die Meisten sind faserig und Geschmack haben sie eigentlich nie. Wir sind 971 km gefahren und spenden damit 97,1 €.

In Rumänien bleibt das Schwarze Meer sehr ähnlich zu dem in Bulgarien. Aber nachdem es auch hier sehr voll ist, starten wir ins Landesinnere. Damit ist das Meer für eine Weile vorbei, denn der Plan ist erst im Herbst oder Winter wieder an der spanischen Küste zu sein. Wenn wir so weit überhaupt kommen?! Denn wir überlegen diese Reise abzubrechen. Wir geraten an unsere Grenzen und innere Konflikte. Seit mehr als 4 Monaten sind wir nun unterwegs und haben auf 4 m2 bei unterschiedlichen Wetter ein Leben verbracht, welches 24 Stunden 7 Tage die Woche gemeinsam bedeutet. Die Enge und die Zeit hat uns noch enger gebracht, aber auch verschiedenste Seiten unsererselbst gezeigt. Es ist eine Beziehungsprobe der besonderen Art und Weise. Erbarmungslos, ehrlich und ohne Flucht. Sarah und ich haben bereits einige Beziehungsformen und Konfliktpunkte hinter uns. Anfangs in einer Fernbeziehung, daneben aber auch Studium, Beruf, Vormundschaft zu meinem Bruder und die damit verbundenen Verbindlichkeiten, gemeinsames Wohnen und nun ein eigenes Kind und damit Familie. Unser Leben ist sehr dynamisch und immer wieder im Wandel. Nicht zu Letzt auch dieses Abenteuer. Die letzten Monate in Frankfurt waren hart. Der Abschluss meiner Promotion, Umzug und Wohnungsauflösung und dann Corona. Wie für viele waren auch wir eingesperrt. Wir in einer kleinen dunklen Wohnung und ohne Möglichkeit der Flucht. Auch ausgesetzt der lauten Nachbarschaft, die ähnliche Probleme hatte. Homeoffice und dann Geburt. Ein wunderbares Ereignis und spezielle Zeit. Aber Sarah braucht Menschen und viele soziale Kontakte. Als Familie und Freunde unsere neue kleine Familie und den Traum eines Kindes nicht sehen, nicht besuchen durfte, knickte das Hochgefühl. Es wurde härter und spitze sich am Ende zu. Wir waren nur froh endlich Frankfurt hinter uns zu lassen und endlich zu starten. Es war ein Hochgefühl und die Reise gab uns jede gewünschte Freiheit und Familiengefühl.

Die Aussicht auf so viel Zeit und Enge waren für mich traumhaft. Eine Wunscherfüllung. Ich brauche immer weniger Menschen als Sarah, habe ein paar sehr enge Freundschaften. Doch muss auch ich feststellen, das ein Ausgleich in Sport, Freunde oder sogar Arbeit fehlt. Es schlich sich immer wieder in Gespräche ein, die Wünsche und Ideen, wenn wir wieder einen festen Wohnsitz haben. Das ich einen neuen Job gefunden habe, der nun jederzeit angetreten werden kann, macht es sicherlich nicht leichter. In einer solchen gespannten Stimmung aufgehitzt durch die hohen Temperaturen, kracht es zwischen uns. Es gibt nie einen ernsten Grund, es fällt auch schwer zu rekapitulieren was nun wieder gewesen ist. Aber wir sind bereits bei einem falschen Wort, Ton oder Blick am Abdampfen. Von 0 auf 100 in unter einer Sekunde. Richtig runter kommen wir nicht und auch die Abendroutine fängt an sich im Kreis zu drehen. Immer das Gleiche. Wir reden und es dreht sich. Eine Lösung hat keiner und es kommt der Punkt, da sind wir beide klar. So geht es nicht, so sollte es nicht sein und so kann die Reise nicht weiter gehen. Also abbrechen? Nach Hause fahren und im Alltag wieder zu uns finden? Wir denken sehr intensiv darüber nach, reden darüber und es wirkt ein wenig als bereiteten wir uns darauf vor. Wir merken eine Sättigung der Erlebnisse und die tollen Plätze, einzigartigen Naturschauspiele können gar nicht mehr richtig aufgenommen, verarbeitet und gefeiert werden wie zu Beginn von Honeycomb.

Gleichzeitig schleicht sich eine neue Dynamik ein. Jeder von uns übernimmt andere Aufgaben, wir tauschen Rollen. Lilou spielt immer wieder auch längere Zeit alleine, so dass wir schneller beim Auf- und Abbau sind. Die gewonnene Zeit wird verwendet damit einer von uns mit Lilou ist und der andere für sich. Einfach mal alleine und tun oder eben nicht tun was man will. Nicht aufräumen, nicht arbeiten und keine Alltagsbewältigung. Einfach für sich. Hängematte schaukeln, telefonieren, basteln, schlafen, wandern, … Ohne Muss und ohne Limit. Und man merkt man braucht nicht viel. Eine Stunde die Seele baumeln lassen und die aufgehitzte Glut wird ein wenig mehr Asche. Anschließend ist es liebevoller, ruhiger und es scheint sich ein Rezept zu entwickeln. Ganz greifen kann man es noch nicht und klar definieren ist schwer. Manchmal braucht es das, manchmal etwas anderes. Aber die Streitiglkeiten werden wesentlich weniger, wenn auch gleichbleibend intensiv. Also abbrechen?

Es ist ein klarer Sternenhimmel ohne Wolken und wir reden lange. Wir betonen die postitive Veränderung und reden beide von Zuversicht. Wir hauen auf den Tisch! Verdammt ist es schön hier, verdammt ist das cool, was wir tun, verdammt ist das eine außergewöhnliche Zeit und verdammt ist Honeycomb ein Traum. Klar harkt es mal, klar ist nicht alles einfach, nicht alles Gold was glänzt. Aber natürlich wollen wir das! Wir wollen das Abenteuer und wir bestehen auch dieses Experiment und werden stärker mit jedem Hindernis. Wir geben nicht auf, wir brechen nicht ab, wie fahren weiter! Auf ins Gebirge von Rumänien.

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