Der Empfang

Unwissen, Vorurteile treffen auf Albanien. Ein roter Teppich, 5 Gänge Menü. Albanien ein spannendes Land.

Beginnen wir aber zuerst mit ein paar Zahlen und Fakten, um mein Ingenieursherz ein wenig zu befriedigen und um Italien abzuschließen. Wir waren 52 Tage in Italien. Haben dort 3.520 km im Auto und noch einige zu Fuss und mit dem Rad zurückgelegt. Also steht auf unserer Spendenliste als erster Punkt 350,20 €. Insgesamt haben wir 1.787,94 € ausgegeben. Alles eingerechnet auch Covid-Tests und Fähre. Das macht 34,38 € pro Tag und 11,46 € pro Kopf. Tanken und Essen sind dabei die größten Posten. und wer mich kennt, kennt meine Eisliebe. 41,20 € hat sie uns gekostet, zum Glück waren nicht mehr Eisdielen offen. Schlafen, Duschen, Strom und Wasser haben uns gar nichts gekostet! Danke dafür!

Puh, jetzt aber mal wieder mehr Geschichte. Ach halt, noch eins muss ich loswerden, fast schon beichten. Als ich aus Bayern weggezogen bin, da habe ich gemerkt, dass man einen gewissen Bayern-Stolz besitzt. Man hält die Bayern für was besseres. Ich konnte zuerst nicht ganz begreifen und nachvollziehen woher das kam. Es wurde mir unterschwellig so vermittelt und trat hervor, als ich das Land verließ. Bei manchen hätte ich es wohl merken können. Zum Beispiel wenn wir in der Grundschule die Bayrische Nationalhymne gesungen haben. Zum Glück habe ich diesen falschen Stolz schnell erkannt und ablegen können. Ähnlich wie dieser Stolz habe ich Vorurteile. Man gibt das nicht gerne zu und noch weniger gerne habe ich sie. Aber sie sind da, wahrscheinlich ähnlich unterschwellig und unbewusst erzogen worden. Ich habe Vorurteile gegen den Balkan und seine Bewohner. Und das obwohl ich in einer Gegend aufgewachsen bin, in der wir gemeinsam mit Türken, Kroaten, Rumänen, Mazedonern und Bulgaren wohnten. Viele waren unsere Freunde und obwohl es immer anders in der Küche roch, mochte ich die vielen leckeren Nachtische. Also habe ich trotz positiver Erinnerung Vorurteile. Mich ärgert das und auch deshalb wollte ich hier her in diese Länder reisen. Es kann doch nicht wahr sein, so geprägt zu sein.

Die Grenzpolizei lässt uns mit einem Herzlich Willkommen nach Albanien rein und Sarah und ich sind erleichtert. Lilou ist unbeeindruckt. Kaum aus dem Hafen werden wir empfangen. Ein Mann ohne Bein sitzt auf der Straße. Ein weiterer ohne Arm, winkt mit der Gesunden. Und einige Frauen mit Kindern auf dem Arm rennen auf das Auto zu und bleiben so dicht stehen, das wir bremsen müssen. Sie wollen Geld. Wir fahren weiter. 30 Minuten später sind wir wieder an der gleichen Stelle, um aus Durres rauszufahren. Es ist keiner mehr da. Sie wissen genau, wann die Fähren kommen, dass ist das Geschäft. In Durres fühlen wir uns nicht so wohl. Wir fahren rein und finden kein Parkplatz. Also geht es in eine seitliche Einbahnstraße, doch bei der nächsten Biegung geht es nicht weiter. Die Stromkabel hängen in großer Anzahl kreuz und quer zu weit unten für unser Auto. Alles sieht selbst gelegt aus und hätte Sarah es nicht gesehen, wir hatten dem Wohnviertel erstmal den Strom abgezapft. Also umdrehen und gegen die Einbahnstraße mit empörten Passanten zurückfahren. Erst ein wenig außerhalb von Durres am Strand von Durres können wir ankommen und verschnaufen. Wir fragen den Barbesitzer mit Zeichensprache, ob wir hier bleiben können und er nickt mit breiten Grinsen und Daumen hoch. Später trinken wir dafür ein Bier bei ihm. Ein älteres Ehepaar kommt vorbei, setzen sich an einen anderen Tisch und sind entzückt von Lilou. In Englisch fragen sie woher wir kommen und schenken Lilou ein Keks. Sie haben kein Covid bemerkt sie sofort. Sie sind geimpft und in Durres gibt es nur 17 Fälle. Es ist ihr sehr wichtig das mitzuteilen. Es beruhigt uns ein wenig. In Durres gab es keine Masken, kein Plexiglas und Abstand. Und auch jetzt nach ein paar Tagen kann man feststellen, dass Albanien ganz anders mit Corona umgeht. Hier gibt es keine Einschränkungen, alles ist wie früher vor den Lockdowns.

Ein Platz in der Sonne am Strand von Durres

Auch aus diesem Grund wollen wir nicht in die Städte und suchen eher die Wildnis. Wir sind auf Abstand getrimmt. Es geht die albanische Küste entlang Richtung Süden und somit Griechenland. Albanien ist sehr grün, überhaupt nicht trocken, wie ich es mir vorgestellt habe. Es ist hügelig und in der Ferne sieht man hohe schöne Berge – die albanischen Alpen. Das Meer ist sauber, türkis und glasklar. Die Sandstrände in nichts nachzusehen an denen in Kalabrien und Apulien, oftmals sogar sauberer. Das architektonische Landschaftsbild ist geprägt von mehrgeschossigen Bauten. Oftmals nicht fertig gestellt oder nur im unteren Bereich bewohnt. Das besondere ist die Treppe, meist aussen geführt, welche bis aufs Dach oder oberste Plateau führt. Egal ob Dach oder nicht, hier schaut die Bewährung raus. Das Eisen zeichnet die Säulen weiter und lässt alles unfertig aussehen. Man erklärt uns, dass die Albaner oftmals zu einem späteren Zeitpunkt ein weiteres Geschoss hinzubauen und das geht dann billiger und einfacher. An den Küstenstraßen sieht man viele ehemalige Bunkeranlagen. Sie sind das Erbe des Kommunismus und Kalten Krieges und werden teilweise als Denkmäler aufbewahrt oder z.B. als Emoij bemalt zu Kunstobjekten.

So fahren wir also durch schöne Landschaften mit Bergen, Wälder und Meer zu unserem ersten richtigen angestrebten Ziel. Ein Platz in der Nähe von Strand. Anlaufstelle eine Bar, von der im Internet sehr unterschiedlich berichtet wird. Mal wird es als super Platz und nette Leute und mal als Halsabschneider und Wucher bezeichnet. Wir wollen uns selbst ein Bild machen. Einer kleinen Strasse folgend biegt man von Feldern in einen Waldabschnitt und dann taucht sie auch direkt auf. Ein älter wirkendes Haus mit hölzernen Veranda und einigen Tischen zwischen den Bäumen. Wir haben den Motor noch nicht ausgeschaltet, da werden wir auch schon von einem älter wirkenden Mann empfangen. Er grinst und fragt uns, ob wir Italienisch sprechen. Er heißt uns willkommen und erklärt, daß er Marco heißt. An seiner Bar steht groß geschlossen, aber das scheint nicht für uns zu gelten. Er sagt uns direkt, dass wir das Internet frei nutzen können, wir aufs Klo gehen können und in seiner Küche kochen dürfen. Wir steigen aus. Er sieht Lilou zwickt ihr in die Wange und will sie gleich auf den Arm nehmen. Sie klammert sich fest an mich und Marco führt uns auf die Veranda. Sein Sohn bringt gleich zwei Bier und schenkt Lilou ein rotes Plüschherz. Es ist noch nicht 12 Uhr. Drinnen sitzen ein paar Männer und spielen Karten. Einer kommt raus und führt mich und Lilou herum. Er sagt ständig etwas auf Albanisch und manchmal eins zwei Wörter auf Italienisch. Er lacht, zwickt mich und ich grinse zurück, keine Ahnung was er von mir will. Er riecht nach Alkohol, so wie die anderen auch. Marco scheint auch sein bester Kunde zu sein. Aber sie sind freundlich und als ich mich darauf einlasse, meine ich zu verstehen, dass er mir sagen will, dass er das alles gebaut hat. Neben der Bar sind zahlreiche Bienenstöcke, ein Hühner und Gänsestall und drei Hunde laufen herum. Lilou ist begeistert. Auch von den Schaukeln die es hier gibt. Acht Stück sind es, aber ähnlich wie das Haus haben sie ihre besten Tage bereits längere Zeit hinter sich. Marco spricht davon und wie schön es mit Live-Musik und Tänzerinnen in seinem Einod ist. Er erzählt uns einiges von dem Land und es dauert bis wir uns losreißen können, um uns den nahegelegenen Strand anzusehen. Bezahlen müssen wir nicht, sollen wir einfach später.

Wir folgen einem Weg aus harten Sand, der in Maps nicht vorhanden ist. Es dauert keine 50 Meter und wir sind raus aus dem Wald und es eröffnet sich ein endloslanger Sandstrand. Es gibt viele Pfade und wir folgen dem Geraden, welcher wie die anderen wohl auch zu einem kleinen Haus führt. Ein Restaurant. Wir parken neben einem Transporter mit englischen Kennzeichen. Die Leute aus dem Restaurant winken uns zu und wir zurück. Wir haben den starken Wind aus Italien mitgenommen und so nehmen wir den Drachen und laufen vor an den Strand. Lilou zeigt kurzzeitig begeistert auf den Drachen und jauchzt wenn er mit einem lauten Zischen vorbei rast. Dann gilt das Interesse dem Sand. Aber zwei Hunde kommen und versuchen den Unerreichbaren zu fangen. Ein Mann kommt, damit wir den Drachen wieder reinholen können. Er spricht sehr gut Englisch und nennt sich Giuglio. Er sagt die Hunde gehören Jimmy, dem Engländer, der seit 3 Jahren hier wohnt. Interessant, aber wir wollen ihn nicht nerven und beschließen irgendwo anders unser Lager auf zu stellen. Aber erstmal zurück zu Marco, Sarah hat ihm einen Kaffee versprochen. Einen echten Italienischen und zahlen müssen wir. Er erzählt und von einem Paar, die Mal da waren und ihn unverschämt überteuert fanden. Sie haben ihn dann 3000 Lek statt 300 Lek hingelegt und sind verschwunden bevor er ihnen den Rest geben konnte. Das hängt ihm immer noch nach. Das ist wohl der Kommentar im Internet und wir begreifen sofort woher es kommt. Statt hundert sagt er Tausend auf Italienisch, meint aber die hundert. Verwirrend aber so machen es viele hier. Sie schreiben auch eine Null mehr auf. Das muss man wissen, dann kommt man definitiv billiger weg. Der Kaffee kommt frisch aus der Mokka, da hält ein Auto. Zwei Männer steigen aus und einer ruft im klaren Englisch. Keine 5 Minuten später wissen wir, dass es Jimmy der Engländer ist. Ein begeisterter Fan von Albanien. Alle seine Freunde sind Albaner, auch die in England und er fährt hier viel herum. Sofort wird uns eine Route gezeigt, die wir fahren sollen und ein Eco-Camping. Freunde von ihm, wir sollen sagen wir kommen von ihm. Dann kommt alles auf seine Liste und er lädt uns ein. Er meint das ernst.

Genauso erst meint er, dass wir bei ihm am Strand schlafen sollen. Es ist traumhaft dort, meint er. Und am Strand ist viel Polizei, aber wenn wir bei ihm sind, interessiert sie das nicht. Alle kennen Jimmy. Also nehmen wir neben Jimmy’s Transporter unseren Platz ein. Der Strand ist der näheste Punkt nach Italien. Ein schnelles Boot braucht 1 Stunde um hin zu fahren. Ideal um Drogen zu schmuggeln. Hier produziert und rüber gefahren. Hier gibt es keine, sagt Jimmy, die Leute können sie nicht bezahlen. Aber man macht schnell Geld. Er lacht, er kennt sich nicht damit aus, er handelt mit Autoteilen. Aber die Polizei patroulliert hier viel und drücken ein Auge zu, wenn sie etwas von dem Kuchen abhaben können. Tommy, der Restaurantbesitzer von Strand, schüttelt den Kopf und sagt Jimmy übertreibt. Hier gibt es sowas nicht. Am Abend fährt die Polizei vorbei, sie winken.

Tommy, Giuglio und ein paar andere arbeiten am Restaurant. Sie betonieren neue Wege und Gärten. Sarah fragt, ob sie mit uns essen möchten. Das wird sofort verneint, heute sollen wir zu ihnen kommen. Wir sind eingeladen. Bezahlen dürfen wir nicht, aber es ist okay wenn wir dafür morgen kochen. Das ist respektvoll, sagt Jimmy, und mit Respekt bekommt man alles von den Albanern. Wir wissen noch nicht so ganz was wir davon halten sollen, gehen aber pünktlich am Abend in die Stube. Wir sind die einzigen Gäste. Das Restaurant hat noch zu, die Saison startet erst im Juni. Dann ist der ganze Strand voller Menschen, erzählt uns Bona, die Frau von Tommy. Sie spricht besseres italienisch als ihr Mann. Jimmy spricht ein wenig Albanisch und natürlich Englisch. Also wird es ein Abend zwischen Englisch, Italienisch und Zeichensprache. Bona tischt auf und es ist ein Empfang, wie man ihn nur aus Geschichten kennt. Ein 5-Gänge-Menü! Es kommt sehr leckeres Fleisch mit griechischem Salat und Pommes. Dazu Makkaroni mit Tomatensauce und eingelegte Aubergine und irgendetwas, was man nicht ganz definieren kann. Es kommt alles zusammen und auf einmal und wir greifen zu bevor es kalt wird. Es ist höflicher viel zu Essen, also tun wir das. Zum Nachtisch gibt es Erdbeeren. Erst wollen Tommy und Bona nicht am Tisch sitzen und wir sind mit Jimmy alleine. Aber Sarah bietet ihn Italienischen Wein an, den wir in Neapel eigentlich für Gigi geholt hatten. Jetzt kommt es sehr gelegen und sie freuen sich und trinken mit. Wir waren schon mal in Australien, ein Kontinent mit den freundlichsten Menschen, wie ich finde. Aber die Gastfreundschaft der Albaner übersteigt es noch. Ohne uns zu kennen werden wir aufgenommen und nach dem Abend sind wir Freunde.

Tommy, Elmar, Giuglio, Bona, Jimmy, Sarah, Lilou und ich

Am nächsten Tag ist es nicht anders, Lilou bekommt immer wieder Obst, Chips und sonst was geschenkt. Wir bekommen Kaffee und sollen uns bedienen. Es ist super windig, die Wellen sind hoch und Jimmy meint, es wäre einer von zwei Tagen im Jahr in denen man surfen könnte. Es gibt einen langen Sandspaziergang und dann müssen wir nochmal einkaufen, wenn wir am Abend kochen sollen. Sarah fragt bei Tommy, Jimmy, Bona und Giuglio nach dem nächsten Supermarkt. Sie winken ab. Jimmy und ein neuer Freund, ich glaube Elmar, winken uns zu ihrem Auto und sagen, dass sie uns fahren. Sie müssen auch etwas holen und sie wissen nicht genau, welcher Supermarkt auf hat. Außerdem werden wir so nicht beschissen. Es geht los. Ein alter Mercedes. Hier fahren sehr sehr viele BMW und Mercedes. Jimmy meint, man muss sie aber immer von innen sehen, sie sind nur Prestige. Ich verstehe gleich was er meint. Es gibt kein Hebel mehr an der Gangschaltung, nur etwas selbstgebautes. Einige Knöpfe an den Amaturen und bei uns an den Fensteröffnungsknöpfen fehlen. Die Handbremse hält nur, wenn Elmar eine Sprühdose darunter klemmt. Die Tankkomtrollleuchte leuchtet permanent. Aber es funktioniert. Ohne anschnallen und Kindersitz geht es Richtung Dorf. Lilou tanzt zur Musik und Jimmy und Elmar machen lauter. Elmar hat Kühe neben Marcos Bar. Er sagt uns, dass er uns später Milch für die Kleine mitbringt. Die ersten Supermärkte sind zu. Dann halten wir an und ein Mann, auch Jimmy genannt, lehnt sich ins Auto. Er macht die besten Kuchen der Stadt. Kurze Begrüßung und etwas auf albanisch, dann geht es zum Supermarkt. Ein kleiner Laden und wir kaufen ein. Alles ist billig, außer Schokolade. Wir kaufen dennoch eine und schenken sie am nächsten Tag als Dankeschön Bona und Tommy. Salat haben sie gerade nicht, aber am Nachmittag. Elmar sagt, er bringt ihn uns später vorbei. Dann geht es weiter zu einem kleinen Haus und Elmar steigt aus, wühlt in einem der Blumenkästen und gibt das Gras an Jimmy. Sie brauchten also nichts vom Supermarkt.

Zurück legt Sarah mit den Vorbereitungen zum Essen los. Couscous-Salat und Pizza soll es geben. Pizza aus der Pfanne, wir haben ja keinen Ofen und bei Bona ist auch keiner. Jimmy und Elmar fahren nochmal los für den Salat, ich spiele mit Lilou und Sarah kocht bei Bona in der Küche. Ich komme einmal rein, um zu helfen, aber der Blick von Bona gibt mir klar zu verstehen, dass ich hier nichts zu suchen habe. Verwirrt redet sie auf Sarah ein, was ich will und ich gehe eingeschüchtert zurück zu Lilou. Jimmy und Elmar kommen nicht, auch nicht als wir aufdecken. Der Salat wird ohne Grünzeug serviert. Wir fangen an zu essen. Man merkt, dass es Bona und Tommy nicht schmeckt, aber sie essen höflich, obwohl wir ihnen sagen, dass sie es lassen dürfen. Später kommen Jimmy und Elmar, sie waren bei den Kühen. Das hat länger gedauert, sie bringen aber Salat mit und eine von Jimmy’s berühmten Torten. Eine Karamelltorte aus purem Zucker. Ich esse drei Stücke.

Am nächsten Tag schenkt uns Elmar einen Liter frische Milch und zieht erneut mit Jimmy los. Wir bauen ab, um Jimmy’s Route zu folgen und verabschieden uns von Tommy, Bona und Giuglio. Aber nicht ohne unsere Adressen und E-Mails auszutauschen. Wir sind keine vier Tage hier und ich bin ein Albanien-Fan. Danke für den Empfang! Ziel: Vorurteile ablegen, sie sind nicht berechtigt.

Faleminderit

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